: Brautwerben um Frankreichs Grüne
Die kleine Partei ist ins politische Zentrum gerückt/ Konservative und Sozialisten suchen das Bündnis/ Auf Parteikongreß am Wochenende wollen Grüne „vollständige Antwort“ geben/ Partei wehrt sich gegen Vorwurf des Öko-Faschismus ■ Aus Paris Thierry Chervel
Wie links oder rechts sind die französischen Grünen? Die etablierten Pariser Parteien und die Öffentlichkeit werden den Parteitag der einst belächelten Grünen, der morgen im bretonischen Saint-Brieuc beginnt, jedenfalls mit großer Aufmerksamkeit verfolgen. „Der Parteitag“, so sagte der Wortführer der Grünen, Antoine Waechter, „wird all denen eine vollständige Antwort geben, die uns heute den Hof machen.“
Die Grünen sind in Frankreich zu einem entscheidenden politischen Faktor geworden. Auf 15 Prozent werden die Ecologistes in Meinungsumfragen geschätzt — die Zahl ist allerdings etwas trügerisch. Darin ist der Anteil der Génération Ecologie von Brice Lalonde enthalten, der sich als Umweltminister mit Mitterrand gemein gemacht hat und den die Grünen als ihren Intimfeind betrachten.
Dennoch: auf acht bis zehn Prozent werden die Grünen wohl mindestens kommen. Nach den Regionalwahlen im März und womöglich auch nach den Wahlen zur Nationalversammlung im Jahr darauf wird sich kaum eine Mehrheit ohne sie konstituieren können, und darum kann sich die Partei über Prätendenten nicht beklagen. Besonders innig sind die Handküsse, die Jacques Chirac, der Führer der gaullistischen RPR, den Grünen zuwirft. „Global gesehen haben die Umweltschützer recht“, bekannte der Bürgermeister von Paris auf einem „Gipfel der Metropolen“ in Montreal vor ein paar Wochen. Wenig später sah er „nur Vorteile, wenn wir die Grünen mit der neuen Mehrheit verbinden.“ Auch die anderen Vertreter der heutigen Oppositionsparteien haben die Grünen gern: „Es gibt kein wesentliches Element, das sich einem Bündnis mit den Grünen entgegenstellt“, sagt der Zentrumsmann Bernard Besson, und Giscard d'Estaings UDF betont, „daß wir immer gute Beziehungen mit den Grünen hatten“. Die „zivilisierte“ Rechte könnte nach einer 'LeMonde‘- Hochrechnung trotz des Rechtsrucks in Frankreich im März nur in 3 der 22 französischen Regionen alleine die Mehrheit bilden, zusammen mit den Grünen wären es schon 13, zusammen mit der Front National gar 16 — aber Le Pen wird noch gemieden.
Die Rechte hat allerdings fast noch galantere Konkurrenten: die PS, deren Strategie langfristiger ist. Da die Sozialisten die Regionalwahlen ohnehin schon verloren geben, zielen sie auf die Wahlen zur Nationalversammlung. Diskutiert wird eine Änderung des Wahlmodus: Beim gültigen Mehrheitswahlsystem hätten die Grünen trotz ihrer 10 Prozent nicht die geringste Chance auf einen Sitz im Parlament. Also plädiert der PS-Vorsitzende Pierre Maurois für ein Verhältniswahlrecht, das für die Sozialisten einen doppelten Vorteil hätte: Nicht nur die Grünen zögen dadurch ins Parlament ein, sondern auch die Front National. In den Grünen hätten die geschwächten Sozialisten einen neuen Bündnispartner, und die Front National würde zugleich die Rechte spalten, so das Kalkül.
„Weder links, noch rechts“, war seit eh und je das Motto der französichen Grünen. Waechter läßt die Frage möglicher Koalitionen offen: „Für uns ist nicht wichtig zu wissen, mit wem wir zusammengehen, sondern zu welchem Zweck.“ Nur ein Bündnis mit der Front National schließt er von vornherein aus.
Eine der zentralen Forderungen der Grünen an die anderen Parteien ist natürlich das Verhältniswahlrecht, was die „zivilisierte“ Rechte ein weiteres Mal in die Klemme bringt: Wenn sie sich tatsächlich mit den Grünen verbünden, haben sie auch die Front National am Hals, Le Pen ist immer schon da.
Trotz ihrer starken Position in den Umfragen sehen sich aber auch die Grünen selbst unter erheblichem politischen Druck. „Les Ecolos Fachos“ titelte im Oktober die Monatszeitschrift 'Actuel‘ und erzählte unter anderem die Geschichte von Jean Brière einem Gründungsmitglied der Grünen, der zu Beginn des Golfkriegs eine Liste mit den Namen jüdischer Journalisten präsentierte, um nachzuweisen, daß die Befürworter des Krieges zionistisch unterwandert seien. Die Grünen brauchten mehrere Monate, um Brière auszuschließen, Waechter fand keine klaren Worte der Distanzierung, in der Partei bildete sich gar ein Verteidigungskomitee für Briere. 'Actuel‘ führt weitere Beispiele an: Bündnisse auf lokaler Ebene mit der Front National, rassistische Äußerungen in Flugblättern.
Die Grünen reagierten heftig. Der Herausgeber von „Actuel“, so hieß es, sei ein guter Kumpel von Brice Lalonde, das Ganze ein Komplott zugunsten von Génération Ecologie, als wären die Vorwürfe dadurch entkräftet. In den Papieren, die den Parteitag vorbereiten, findet sich eine „Erklärung zur verleumderischen Kampagne gegen die Grünen in gewissen Medien“, deren Sprache an die versunkener Kaderparteien erinnert: Die etwa zwanzig Unterzeichner der Erklärung sehen einen „intellektuellen Terrorismus“ am Werk.“ Eine Untersuchung der Vorwürfe oder eine Erklärung gegen Rassismus und Antisemitismus sucht man dagegen vergeblich, Spuren einer rechten Ideologie finden sich allerdings ebensowenig. Die Frage bleibt, ob sich die französischen Grünen auf dem Parteitag mit den Vorwürfen auseinandersetzen werden.
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