: Kein Gipfelglanz trotz „Rigoletto“
Neue Strategie der westlichen Allianz auf Nato-Gipfel verabschiedet/ Kern des Konzepts ist eine mobile und schlagkräftige Eingreiftruppe/ Aufforderung an Moskau wegen „strikter zentraler Kontrolle“ über sämtliche Atomwaffen in Ex-UdSSR ■ Aus Rom Andreas Zumach
Schon der Gipfelauftakt geriet zur großen Enttäuschung. Zumindest für die RömerInnen. Hunderte waren am Mittwoch abend zur Gala in die Staatsoper geströmt. Weniger, um Rigoletto zu hören, als um einen Blick auf die Nato-Großkopfeten zu erhaschen. Doch von den angekündigten 16 Regierungschefs erschienen nur die hier weithin unbekannten aus Griechenland, Dänemark und Luxemburg. Bush, Kohl, Mitterrand, Major und Gonzales zogen bilaterale Vorgespräche den Verdi- Tönen vor. Verärgert über soviel Igoranz blieb dann auch Gastgeber Cossiga zu Hause.
Am nächsten Morgen — noch vor Beginn der Gipfeltagung in einem im tiefen Süden der Stadt gelegenen Hotel — bemühten sich dann Bush und Major, als erste die Nachrichtenlage zu bestimmen. Es werde „alles glatt ablaufen“, und man sei in Rom „um die Nato zu stärken“ erklärten sie nach einem gemeinsamen Frühstück. Zwecks dessen ungefährdeter Durchführung legten die 5.000 eingesetzten Carabinieri zusätzlich zum ohnehin hermetisch abgesperrten Stadteil um das Tagungshotel das gesamte Gebiet zwischen Spanischer Treppe und Colosseum lahm. Denn die 16 Herren mit ihrem großen Gefolge logieren sämtlich in verschiedenen Luxusherbergen der Innenstadt.
Die ohnehin ans tägliche Verkehrschaos gewohnten RömerInnen nahmen die zusätzliche Belastung mit Gleichmut. Wurden sie dafür doch entschädigt durch John Majors Versicherung, wonach „die Nato seit über 40 Jahren die Garantie unserer Sicherheit gewesen“ sei und dieses „auch so bleiben“ werde.
In seinem eifrigen Bemühen um die Wiederherstellung der im letzten Jahr an die Deutschen verlorenen „special relationship“ zu Washington zeigte sich der britische Premier auch völlig einig mit Bush in der Absage an westeuropäische Eigenständigkeiten. Die Westeuropäische Union (WEU) sei „keine Alternative zur Nato“ betonten beide. Auch eine zur politischen Union weiterentwickelte EG mindere die Notwendigkeit der transatlantischen Allianz nicht im Geringsten. Der US-Präsident fügte hinzu, daß sein Land „keine dominierende Rolle“ im Bündnis spielen wolle und die anderen Mitglieder als „Partner und nicht als Gefolgsleute“ sehe. Die tatsächlich gerade von London heftig abgelehnte jüngste deutsch-französische Initiative begrüßten Bush und Major flugs als Bereitschaft zu „einer stärkeren Lastenübernahme innerhalb der Nato“.
Auch Bundeskanzler Kohl bemühte sich beim Gipfelbeginn, alle Widersprüche wegzureden. „Nato und EG“ stünden „nicht in Konkurrenz zueinander“. Allerdings müsse ein gemeinsames Europa auch eine gemeinsame Sicherheitspolitik entwickeln, erklärte der Kanzler. Italiens Regierungschef Andreotti äußerte sich ähnlich. Hinter den Kulissen blieben die Gegensätze.
Beim gestern veröffentlichten sogenannten Strategiekonzept feilschten die Delegationen bis zuletzt um die Formulierungen zur Zusammenarbeit mit Mittel- und Osteuropa, die ohnehin weit hinter den Erwartungen aus dieser Region zurückbleibt. Eine Aufnahme in die Nato ist nicht vorgesehen und das westliche Bündnis gibt auch keine sicherheitspolitische Garantieerklärungen für osteuropäische Staaten ab. Allerdings schloß die französische Delegation in einer Erklärung die Mitgliedschaft osteuropäischer Staaten in der Nato „langfristig“ nicht aus. Doch im Nato- Beschluß vorgesehen sind lediglich Treffen auf Außenministerebene einmal im Jahr sowie monatliche Begegnungen der politischen Direktoren. Insbesondere Mitterrand wandte sich gegen eine weitergehende Institutionalisierung dieser Zusammenarbeit im Rahmen der Nato weil dies zu einer „Aushöhlung“ der KSZE führe. Für die Bezeichnung dieser Zusammenarbeit lagen noch am Mittwoch abend fünf verschiedene Vorschläge auf dem Tisch, in denen sich die unterschiedlichen Interessen widerspiegeln. Darunter „Nordatlantischer Kooperationsrat“ und „Euroatlantischer Rat“. Für die heute erfolgende politische Schlußerklärung des Gipfels bemühten sich noch gestern die Franzosen um eine Verstärkung der Entwurfformulierungen zur europäischen Verteidigungsidentität. Auch bei der gestern abend veröffentlichten Erklärung zur Lage in der Sowjetunion hatte es hinter den Kulissen deutliche Differenzen gegeben. In der Erklärung wird Moskau aufgefordert, die „strikte zentrale Kontrolle“ über sämtliche Atomwaffen der bisherigen Sowjetunion auch weiterhin sicherzustellen. An dieser Passage der Erklärung war vor allem Washington gelegen.
Die Westeuropäer setzten ihrerseits eine positive Würdigung der Entwicklung seit dem gescheiterten Putsch durch. In einer Erklärung zum jugoslawischen Bürgerkrieg fordert die Nato alle Beteiligten zur Einhaltung der von der EG vermittelten Waffenstillstandsvereinbarungen auf. Zugleich bietet das Bündnis seine nicht näher spezifizierte „Mithilfe“ bei der Lösung des Konflikts an. Heute treffen sich die Außenminister der zwölf EG-Staaten in Rom am Rande des Nato-Gipfels, um über die Umsetzung der beschlossenen Sanktionen gegen Serbien zu entscheiden.
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