: Serbien fordert plötzlich UNO-Truppen
Sie sollen an der jetzigen Frontlinie innerhalb Kroatiens stationiert werden/ Für Kroatien ist nur eine Stationierung an der „Vorkriegsgrenze“ denkbar/ „Anschluß“-Votum unter den Serben Bosniens ■ Aus Budapest Roland Hofwiler
Am Wochenende beschloß das jugoslawische Staatspräsdium, das verfassungsrechtlich höchste Machtorgan des zusammenbrechenden Vielvölkerstaates, die UNO um die Entsendung von Friedenstruppen nach Kroatien zu bitten. Diese Mitteilung machte Jugoslawiens Vizepräsident Branko Kostic, der die UNO aufforderte, an den „derzeitigen Frontabschnitten“ Blauhelme zu entsenden. Diese Spezifizierung würde die gegenwärtige Kampflinie, die weit in kroatisches Territorium hineinreicht, als Demarkationslinie festschreiben.
Bei anschließenden Friedensverhandlungen wolle Serbien damit die derzeit „besetzten Gebiete“ für sich beanspruchen und den „Staat Kroatien“ nur als „Rumpfgebilde“ akzeptieren, ohne die Städte Dubrovnik, Osijek und Vukovar. So meldete sich der kroatische Präsidialamtssprecher Mario Nobilo am Sonntag in einem Interview zu Wort.
Der Sprecher unterstrich aber ausdrücklich, UNO-Soldaten seien willkommen, wenn sie an den Grenzen Kroatiens, wie sie vor Beginn der Kampfhandlungen bestanden, stationiert würden. Eine Forderung, die Radio Belgrad gestern bereits als „abenteuerlich“ zurückwies. Zagrebs Außenminister Separovic meint dagegen im kroatischen Fernsehen, wünschenswerter als Blauhelme wäre die Anwesenheit der sechsten US-Flotte im Adriaraum.
Während die Politiker mit solchen Projekten jonglierten, tobten die Kämpfe am Wochenende mit größerer Intensität als in den Tagen zuvor. War es schon in den letzten Wochen schwer, authentisches Informationsmaterial zu bekommen, so ist dies seit dem Wochenende fast unmöglich geworden. Das Zagreber Parlament beschloß weitreichende Zensurmaßnahmen, der sich auch ausländische Journalisten unterwerfen müssen. Zeitungsmanuskripte dürfen nur noch nach Prüfung der Militärbehörde versandt und veröffentlicht werden. Vergehen gegen diese Verordung sollen mit bis zu fünf Jahren Gefängnis geahndet werden können. Man wird gespannt sein müssen, wie dies im journalistischen Alltag gehandhabt werden wird.
Offiziellen Meldungen und Fernsehbildern kann man nicht mehr trauen. Bereits seit Freitag abend sendet das Belgrader Fernsehen angeblich immer neue Bilder über die „Eroberung“ der ostslawonischen Stadt Vukovar, in der sich seit elf Wochen Kroaten und Serben einen erbitterten Stellungskrieg liefern. Betrachtet man jedoch die Bildaufnahmen genauer, so kommen sie einem bekannt vor. Es sind immer die gleichen Bilder, nur neu geschnitten und mit aktuelleren Kommentaren unterlegt. So ist weiterhin offen, ob Vukovar in die Hände serbischer Freischärler fiel oder noch immer von kroatischen Nationalgardisten gehalten wird. Ebenso verworren war die Lage gestern in anderen Kampfabschnitten.
Unterdessen hielt die serbische Bevölkerung in der Republik Bosnien ein amtlich nicht genehmigtes Referendum ab, ob die „serbischen Gebiete“ Bosniens in Zukunft an einen neuen serbischen Staat angegliedert werden sollten oder nicht. Nach Auskunft der Veranstalter sei die Wahlbeteiligung „überraschend hoch“ gewesen und sei mit einem „überwältigenden Beitritt“ an Serbien zu rechen, wenngleich erste Resultate erst Mitte kommender Woche vorlägen. Die bosnische Regierung in Sarajevo verurteilte unterdessen diesen „einseitigen Akt“ und ließ verlauten, man werde auf das Referendum in keinem Falle eingehen. Doch trotz der angespannten Lage in Bosnien soll es zu keinen ernsten Zwischenfällen zwischen Serben, Muslimanen und Kroaten gekommen sein, beteuern alle Seiten.
Dem allgemeinen „Referendumsfieber“, das die einzelnen Völker im ehemaligen Jugoslawien erfaßt hat, ist auch die gesamtjugoslawische Friedensbewegung erlegen. Sie rief für nächste Woche ebenfalls zu einem Referendum auf: Landesweit sollen die Bürger ihre Stimme dazu abgeben, ob sie nun Krieg oder Frieden wünschten. Die Friedensaktivisten hoffen mit Hundertausenden von Unterschriften eine neue Initiative gegen das alltägliche Sterben auf die Beine bringen zu können.
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