: Schlaufe gerissen
„Homicide“ — ein Film von David Mamet ■ Von Gerhard Midding
Ein Mann bricht nachts in einen Spielzeugladen ein. In seiner Hand hält er einen kleinen Streifenwagen. Im Hinterzimmer hat er antisemitische Flugblätter entdeckt, der Laden dient der Druckerei einer Neo-Nazi-Organisation als Tarnung. Der Mann ist Polizist, und er ist Jude, was er aber eigentlich erst seit zwei Tagen zur kenntnis nimmt. In wenigen Augenblicken wird er den Laden in die Luft sprengen, das hat er einer jüdischen Terroristengruppe versprochen. Noch aber hält er das Polizeiauto in der Hand. Eine Sirene ertönt, leise, fast scheint sie aus seinem Unterbewußtsein aufzuheulen. Doch dann wird sie lauter und realer.
Wie unter einem Brennglas bündelt David Mamet in dieser Szene alles, worum es in Homicide, der nüchternen Erzählung eines amerikanischen Alptraums, geht: Sie spricht vom kindlichen Spiel mit Lebensentwürfen, vom Verlust der Unschuld, auch davon, wie leicht es in Polizeifilmen ist, die Grenzen der Legalität zu überschreiten. Sie spricht davon, wie schnell ethnische Wurzeln, sind sie erst einmal freigelegt, eine wirre biographische Bringschuld nach sich ziehen können. Und wie manche Handlung in sich das Versprechen einer neuen, richtigeren Identität birgt. Homicide ist ein Genrefilm, der ein wichtiges Thema behandelt: den Antisemitismus. Dabei gerät dieser nie zur bloßen Folie, er handelt ihn auch bar jeder Thesenhaftigkeit ab. David Mamet erzählt seinen Film ganz altmodisch als Charakterdrama.
Bob Gold (Joe Mantegna) arbeitet bei der Mordkommission und ist dort Spezialist für hostage negotiation: er ist ein geschickter Unterhändler im Umgang mit Geiselnehmern, Heckenschützen und Selbstmördern. Ein beredter Illusionenverkäufer, und immer der Erste, der durch die Tür geht, hinter der womöglich der Tod lauert. Eigentlich sind er und sein Partner einem Dealer und Polizistenmörder auf der Spur, als er gegen seinen Willen mit einem anderen Mordfall betraut wird. Eine alte jüdische Ladenbesitzerin ist überfallen worden und deren einflußreiche Familie will, daß der Jude Gold den Fall übernimmt. „Fuck 'em and fuck the taxes they pay!“ flucht er minutenlang über den ungeliebten Auftrag, der ihn in eine ihm fremde Welt entführt: die des wohlhabenden jüdischen Großbürgertums.
Als ihm die Familie von weiteren Mordversuchen erzählt, ist er zunächst skeptisch. Allmählich verdichten sich jedoch die Indizien; Gold glaubt, einer großangelegten Konspiration auf der Spur zu sein.
Mamet entwickelt die Geschichte weit über das Regelgeflecht des Genres hinaus, und doch kommen ihm dessen Motive und Mythologie immer wieder zupaß. Golds Spurensuche in eigener Sache kollidiert mehr und mehr mit den Direktiven der kriminalistischen Recherche. Ein Loyalitätskonflikt bahnt sich an, der seine Identität erschütttert. Das Motiv der unverbrüchlichen Zugehörigkeit zu einer Institution — die Polizei als Familie — gehört zum Polizeifilm wie die Einsamkeit und der Tod. Mantegna läßt mit jedem Blick, jeder Geste, jedem Wort spüren, daß Gold kein Privatleben hat. Um Polizist wie er zu sein, muß man sich eine gewisse Jungenhaftigkeit bewahrt haben: den Wunsch, dazuzugehören, ein team player zu sein. Mantegna läßt nicht einfach die Verletzbarkeit hinter der rauhen Fassade Golds erahnen, er stellt beides gleichsam nebeneinander. Golds Souveränität mischt er ein Gran Masochismus bei.
Er hat mehr zu verlieren als den Revolver, der bedrohlich locker in seinem Halfter sitzt, seit ihm ein Mörder die Schlaufe abgerissen hat. Gold büßt allmählich alle Gewißheiten ein, die alten und auch jene, die er glaubte, neu gewonnen zu haben. „Sie wollen Jude sein“, wird er einmal gefragt, „und Sie können noch nicht einmal Hebräisch lesen? Was sind Sie dann?“ Mamets Drehbuchkonstruktion ist von unbarmherziger Folgerichtigkeit. Am Ende hält sie Scherbengericht über Golds Existenz. Als Polizist hat er tödliche Fehler begangen. Die jüdische Terrororganisation hat ihm ihre Absolution verweigert. Und hinter der antisemitischen Konspiration verbarg sich nichts weiter als eine harmlose Taubenfutter-Firma. Diesmal.
David Mamet: Homicide. Mit Joe Mantegna, William H. Macy, Natalija Nogulich, USA 1990, 97 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen