: Stadtmitte
■ Das Problem der großen Koalition ist ihre Größe
Das Problem der großen Koalition ist ihre Größe
Das Hauptproblem der großen Koalition ist ihre große Mehrheit. Die Breite der Koalition enthebt eigentlich jede der im Senat vertretenen Personen der Angst vor der Opposition und dem Druck des Parlaments. In anderen Koalitionen mußten sich alle am Riemen reißen, wie der Berliner sagt. Jeder Parlamentarier im Abgeordnetenhaus wurde sofort abgestraft, wenn er das nicht tat.
De facto ist dies heute bedeutungslos. Daß zwei, drei oder zehn Parlamentarier bei einer Abstimmung fehlen, sehen zwar die Fraktionsführungen ungern, macht aber dennoch nichts. Der Senat kann es wagen — wie sich im Hauptausschuß gezeigt hat — seine Schularbeiten nicht zu machen. Die Senatoren vertrauen darauf, daß ihnen nichts passiert. Und genau das ist das Hauptproblem der großen Koalition.
Die Partnerinnen im Senat müßten der Öffentlichkeit eine klare Konzeption der großen Koalition bieten. Sie haben das in vielen Fällen nicht getan. Die SPD ist wegen der großen Koalition zumindest zum Teil eingeengt, wenn nicht gar gelähmt.
Das betrifft zum Beispiel vernünftige Vorschläge in der Verkehrspolitik, wofür es eine klare Mehrheit in der Bevölkerung gibt. Dennoch haben wir jetzt die Situation, daß aufgrund dubioser, dümmlicher Wahlversprechungen der CDU der Versuch gemacht wird, diese Wahlversprechungen einzulösen.
Walter Momper hat einmal gesagt, die große Koalition ist eine Notkoalition. Selbst wenn ich einmal den Befürwortern der großen Koalition folge, dann ist die Beweispflicht durch tätiges Handeln bis zum heutigen Tage nicht erbracht: also jene breite Mehrheit, die man hat, zu nutzen und umzusetzen.
Einen Ablauf wie bei Olympia hätte es nie geben dürfen. Man hat dabei wirklich korinthenkackerisch gehandelt und fahrlässig, wenn nicht schlimmer. Es hätte die Debatte um den Potsdamer Platz, um Tempo 30, um Straßenplanung und Baudenkmäler in dieser Art nicht geben dürfen. In den Fraktionen wird business as usual betrieben, als gäbe es nicht diese gigantischen politischen Umwälzungen und Herausforderungen. Man streitet sich im Senat fast bis hin zur Lächerlichkeit. Die Öffentlichkeit sieht und erfährt, was man intern unter sich ausmachen müßte. Da entwickeln beispielsweise die Ressorts Umweltschutz und Stadtplanung eine Auffassung, die Bauverwaltung eine andere. Das handeln sie konkurrierend ab.
Es kommen Eitelkeiten, persönliche Prägungen hinzu. Die Senatoren können sich diesen Streit auf dem offenen Markt erlauben — zum Schaden der Stadt, auch zum Schaden des Senats und der Koalition. Die SPD- Spitze bemüht sich zwar, den Senat etwas zu treiben. Aber letztendlich geht das nur bis zu einer bestimmten Grenze. Selbstironisch würde ich sagen, es wird schon kräftig gebellt, aber man weiß, man beißt nicht. Man beißt nicht, weil man ja die große Koalition im Sinn hat.
Die SPD-Fraktion wird sich stärker engagieren. Doch jedes Engagieren geht an die Grenze der Koalition. Wenn ich egoistisch für die SPD redete, wäre eine neue Koalition mit der SPD in der Opposition für die Sozialdemokraten in keiner Weise schädlich. Das sehen viele in der SPD anders, ich nicht. Die SPD muß sich stärker profilieren und in Sachfragen stärker die Öffentlichkeit erreichen. Wenn dann jemand brechen will, mag dies die andere Seite tun. Aber unsere Politik muß präziser werden. Das Problem ist, daß die SPD wegen der großen Koalition nicht deutlich genug betont, daß die Perversitäten des letzten CDU- Wahlkampfes dazu führen, daß wir im Hinblick auf Tempo 30 oder die Durchfahrt durchs Brandenburger Tor ängstlich sind. Diese Ängstlichkeit muß aufhören. Es muß klar gesagt werden, was wir wollen.
Die SPD hat ein Konzept. Das trifft natürlich auf den starken Widerstand der schwarzen Koalitionspartnerin. Es wird nach Auffassung der SPD Individualverkehr in der City nicht mehr geben. Der sei abzuschaffen. Es wird große Anstrengungen geben müssen, dies umzusetzen. Das wird Streit bringen müssen.
In der CDU gibt es — das zeigt die Debatte um das Lenin-Denkmal — eine Fülle von provinzieller Kleinkariertheit, gepaart mit reaktionären Einsprengseln, um es ganz milde zu sagen. Sie möchten in dieser Koaliton ihre reaktionären Ambitionen verwirklichen. Dafür haben sie aber von den Wählern keine Mehrheit bekommen. In keiner irgendwie gearteten Koalition bekämen sie für diese Politik eine Mehrheit. Nun versuchen sie es mit uns.
Der ehemalige Bausenator und einstige Kandidat für das Amt des Regierenden Bürgermeisters ist für die SPD Mitglied des Abgeordnetenhauses. In der Stadtmitte schreiben Persönlichkeiten der Stadt zu den Problemen der zusammenwachsenden Stadthälften
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen