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Man wird sich noch gegenseitig die K(n)öpfe abreißen

■ 80.000 Bauarbeiter stehen sich bald im Zentrum auf den Füßen/ 13. Sitzung des Stadtforums: »Innerstädtische Investitionsschwerpunkte« für den Bereich Mitte/ Kein ausreichendes Instrumentarium steht den Planern zur Verfügung/ Die totale Verwirrung: neun Gutachten für einen Wettbewerb

Zahlen sind langweilig. Zahlen vergißt man leicht. Zahlen stimmen nie. Wenn jedoch über »Innerstädtische Investitionsschwerpunkte« diskutiert wird wie am vergangenen Sonnabend auf der 13. Sitzung des »Stadtforums«, dann geht es um Zahlen. Superlativ hörten sich die Summen an, die der Berliner Planer Volker Martin für private Bauvorhaben in der City — ohne Regierungsbauten, ohne die »Wasserstadt Spandau«, ohne mögliche Olympiasportstätten, ohne Verbesserungen der Verkehrsinfrastruktur, ohne die Sanierungen im Altbaubereich und die Wiederherstellung der maroden Stadttechnik in Ost-Berlin — errechnete. Neubauten mit insgesamt 3,1 Millionen Quadratmetern Bruttogeschoßfläche ständen der Stadtmitte in den nächsten Jahren ins Haus. 1,4 Millionen Quadratmeter seien allein für Büros vorgesehen, läppische 200.000 Quadratmeter dagegen für Wohnungen geplant. Ein »neuer Blockmaßstab mit 5,0 Geschoßflächenzahl« entspräche auch nicht dem »historischen Muster«, sondern bedeute totale Überbauung der Flächen. Martin dividierte: Baukosten von rund zehn Milliarden Mark ließen sich dafür denken, und nicht weniger als 80.000 Bauarbeiter mischten den Beton. Zehntausend Ingenieure und Statiker hätten da ihren Job. Kämen die oben genannten Planungen noch hinzu — und dafür ließen sich locker nochmals 100 Milliarden Mark und mehr addieren — hieße der gemeinsame Nenner für Berlin: »ein Leben auf der Baustelle«.

Differenzierter versuchte sich Ortwin Ratei aus der Senatsverwaltung für Bauwesen: Allein für den Potsdamer Platz kalkulierte der Hanno-Klein-Nachfolger im »Referat für Investorenbetreuung« etwa fünf Milliarden Mark Baukosten. Runde 4,3 Milliarden Mark multiplizierte der einstige »Akkordarbeiter auf dem Bau« (Eigenwerbung) für anstehende City-Projekte bis 1992/93. 400.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche packte er in den Bereich Friedrichstraße. Dazu zählte er die Friedrichstadtpassage, den Kreuzungsbereich Friedrichstraße/Unter den Linden und die Ecke Leipziger/ Friedrichstraße. Einen Zuschlag erhielte die Rechnung, wenn das »Japanische Zentrum« und das Projekt am Friedrichstadtpalast mit etwa 300.000 Quadratmeter dazugezählt würden. Unterm Strich, so Ratei, tauchten zusätzlich noch kleinere Investitionsvorhaben wie der Springer-Anbau und natürlich der »taz- tower« in der Kochstraße, das Projekt am Südlichen Humboldthain mit Warenhaus und Läden auf 350.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche sowie die Ami-Bürosiedlung »mit Kunstgalerie und Freiheitsstatue« am »Checkpoint Charlie« (100.000 Quadratmeter) mit auf. Für Friedrichshain rechnete er die Bruttogeschoßfläche der vier Projekte hoch auf 500.000 Quadratmeter. Ratei glaubte sich in selige Zeiten auf dem Bau zurückversetzt und analysierte ob der Dichte der Bauarbeiter statt mit Zahlen mit Metaphern: »Da reißt man sich gegenseitig die Knöpfe ab.«

Berlin droht nicht allein, daß zentrale Bereiche der Stadt zur Beute internationaler Investoren werden, weil es einen »großen investiven Spielraum« (Christoph Müller-Stüler, SenStadtUm) auf Stadtbrachen besitzt. Berlin hat auch kein ausreichendes praktisches und logistisches Instrumentarium, um den anhaltenden Investitionsdruck und dessen Zahlenspiele zu lenken und zu kontrollieren. Die meisten Begehrlichkeiten der Investoren richten sich zudem auf Grundstücke in Ost-Berlin — »eine Gegend«, wie Senatsbaudirektor Stimmann in der Fachzeitschrift 'Bauwelt‘ meint, »die für alle Planungsbeteiligten unvorstellbare Bedingungen bereithält.« Die Eigentumsfrage ist ungeklärt, Grundbucheintragungen fehlen, die Treuhandanstalt verwaltet einen noch unbekannten Pool an Grundstücken, und der für den Ostteil der Stadt gültige Flächennutzungsplan ist aufgehoben worden. Es existieren keinerlei bauleitplanerische Voraussetzungen — bis auf den Paragraphen 34 — »Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile«. Doch dieser birgt sehr viel Unbestimmtheit. »Die Schwierigkeiten liegen darin«, erinnerte Karlheinz Wuthe auf dem Stadtforum, »daß sich die Auseinandersetzungen über gesicherte Zielvorstellungen zur Entwicklung Berlins noch im Anfangsstadium befinden.« Zugleich aber stünden bereits definitive Einzelentscheidungen über konkrete Maßnahmen in großer Anzahl und mit beträchtlichem Volumen an.

Das ist so richtig wie falsch, stehen doch der Stadt und ihren Verwaltungen Instrumentarien zur Verfügung. Die gesetzlichen Regelungen sind keinesfalls außer Kraft gesetzt. Sie müssen nur klug angewandt und ausgeschöpft werden. Zugleich bieten die Erfahrungen der Bürgerbeteiligungen, der transparenten Planung, der Gutachterverfahren einen möglichen »Vorgang des Zusammenfügens der komplexen Realität«, wie Helga Faßbinder sagte. Zugleich sind neue Planungsinstrumentarien zu finden, die eine Ökonomisierung der Verfahren und der Zeit ermöglichen sollten. Instrumente der informellen Planung, die Bildung von Projektgruppen, Durchsichtigkeit von Baubvorhaben und gleichzeitige Abstimmungen der Verwaltungen wären erste Schritte in einer Umbruchsituation, die die Verwaltungen zum Teil lähmt und wo selbst kleinste (Miß-)Erfolge als kühne Zukunftsvisionen gefeiert werden.

Geradezu ärgerlich war der Auftritt im Stadtforum von Ulrich Laudam von der Philipp Holzmann AG, die ein häßliches Dienstleistungszentrum (es erinnert fatal an das »Neue Kreuzberger Zentrum«) an der Frankfurter Allee plant. Weder konnte Laudam die Fragen nach dem aktuellen Stand des Projekts beantworten, noch schien ihm die Bürgerbeteiligung einen Gedanken wert. Peinlich war auch der Vortrag von Michael Spies, Planer der New Yorker Tishman Speyer Properties, die an der Neubebauung der Friedrichstadtpassage beteiligt sind. Der Verkauf der Bauruine — nach einem kombinierten Investoren- und Architektenwettbewerb, den die Treuhandanstalt gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Bauwesen ausgelobt hatte — an Investoren, die nicht allein Geld, sondern ein städtebauliches Konzept für das 1,8 Hektar große Gelände auf den Tisch legen mußten, sollte Symbolwert für die Zukunft des Stadtumbaus in der Friedrichstraße haben. Doch statt der neuerlichen Erlebbarkeit des »barocken Stadtgrundrisses« (Spies) wird die Fläche mit fetten Blöcken überbaut werden, die den halbfertigen Plattenbauten in der Masse in nichts nachstehen. Schließlich traut man im Stadtforum seinen Ohren nicht, wenn man hört, daß insgesamt neun verschiedene Gutachten zur Vorbereitung des Wettbewerbs für den Spreeraum rund um den Hauptbahnhof veranlaßt wurden, ohne daß zwischen den beteiligten Teams Verabredungen über die unterschiedlichen Methoden und Ziele stattfanden. »Die Berliner werden über den Bauboom noch fluchen«, sagte Ulrich Pfeiffer vor dem Forum. »Daran geht kein Weg vorbei. Es ist notwendig, ihn zu organisieren.« Rolf R. Lautenschläger

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