Die „Dummis“ bleiben verschwunden

Keine Spur von den 37 Brennelementen aus der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe/ Die baden-württembergische Junge Union spricht von „Wegwerfgesellschaft atomarer Kernbrennstäbe“  ■ Aus Karlsruhe Dieter Balle

„Gefälschte Brennstäbe im Schwarzwald gefunden“, verkündete vor kurzem ein Aushang im Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK). Ein paar Witzbolde hatten Polizei und Feuerwehr des Schwarzwaldstädtchens Horb am 19. Oktober für ein paar Stunden in Atem gehalten, bis Spezialisten die Dinger mit dem Aufkleber „Eigentum des KfK“ als Attrappen entlarvten.

Der Verbleib der echten, nunmehr seit zwei Monaten vermißten 37 Natururan-Brennstäbe aus der Karlsruher Wiederaufarbeitungsanlage (WAK), die selbst die baden- württembergische Junge Union nun als „Wegwerfgesellschaft atomarer Kernbrennstäbe“ bezeichnet, ist noch immer nicht geklärt. Auch die Stuttgarter Landesregierung hat sich inzwischen die Interpretation der Verantwortlichen des KfK zu eigen gemacht, nach der die 37 Brennstäbe konditioniert worden sind.

Sie sollen aus dem Mehrzweckforschungsreaktor nach einem Störfall 1981 zusammen mit radioaktivem Schrott in der Hauptabteilung Dekontaminationsbetriebe (HDB) gestapelt sein. Wie der Chef der HDB Reinhard Pfeiffer gegenüber der taz erklärte, seien die Brennstäbe offensichtlich dort für Leitungsrohre gehalten und falsch deklariert in einige der 808 aus dem Störfall herrührenden Atommüllfässer gelangt. Diese Fässer sind inzwischen endlagergerecht eingesargt und in den riesigen Hallen der HDB so gut wie unauffindbar.

Eine Verifizierung dieser Theorie, erklärte das Kernforschungszentrum gegenüber der Landesregierung, sei zwar „technisch möglich“, praktisch jedoch schwierig und „unverhältnismäßig“ teuer. Die Zweifel an der amtlich beglaubigten Version wollen jedoch nicht weichen. So konnte weder von der Landesregierung noch vom KfK bisher der Umstand erklärt werden, warum die „Dummis“ nirgendwo beim Zählen aufgetaucht sind. Denn auch die „Dummis“ werden, so Pressesprecher Zabel von der WAK, „selbstverständlich katalogisiert und gezählt“. Außerdem existiert weder vom Transfer der Brennstäbe aus der Zelle 2 der WAK ein Beleg, noch ist in der HDB ein Schriftstück aufzufinden, das die Version der irrtümlichen Verschrottung stützen könnte.

Für den Karlsruher Grünen- Stadtrat Harry Block ist die KfK- Version zuerst einmal „die einfachste, weil unverdächtigste Interpretation des Vorfalls“, da die beiden anderen möglichen Szenarien, Diebstahl und/oder Proliferationsvergehen für die Verantwortlichen noch weit unangenehmer wären. Auch Christine Muscheler-Frohne, Landtagsabgeordnete der Grünen, stellte die Frage, ob in der WAK „Plutonium vor dem Zugriff Unbefugter“ sicher sei. Denn seit der Inbetriebnahme der Anlage seien an die 20 Kilogramm Plutonium durch Leitungsverluste verlorengegangen. Britte Nockenberg vom Darmstädter Öko- Institut findet den Proliferationsverdacht durchaus „plausibel“, da es heimliche Interessenten für das Natururan geben könnte. Sie hält es für durchaus möglich, daß 37 Brennstäbe „mit leichten Veränderungen“ irgendwo in einem Reaktor gefahren werden könnten. Der BUND weist darauf hin, daß „Natururan als Baustein für die Weiterverarbeitung von Atomwaffen“ dient. Man fragt nach den Drahtziehern, die jahrelang mit Bleiattrappen und Wissen um „riesige Löcher im Überwachungsnetz“ die Öffentlichkeit genarrt haben. Die Karlsruher Staatsanwaltschaft ermittelt noch immer.