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Stasi und Titsi

San Diego (taz) — Die jetzt sich auf deutsche Dichter zuspitzende Stasi-Debatte wird auch in Amerika wahrgenommen. Vor allem im Umkreis der germanistischen Fakultäten der Universitäten, die nicht erst seit der Wende immer wieder auch DDR-Schriftsteller einluden. Mitte November veranstaltete die kalifornische Universität San Diego ein Symposium zum Thema „Dichtung und Staatssicherheit in Deutschland“. Mit überraschenden Thesen, nicht nur zur Stasi, sondern auch zur US-Debatte um den Silikonbusen.

Das Eingangsreferat hielt der Doyen der amerikanischen Germanistik, James Weaver, und der oberste Deutsch-Interpret der US-Nation präsentierte auch gleich eine überraschende These: Die Stasi-Debatte im neuen Deutschland hat exakt dieselben Argumentationsfelder besetzt wie die US-Diskussion über Silikonbrüste, das gehe bis in die Wortwahl hinein. Als Beispiel zitierte Prof. Weaver zuerst die Biermann-Positions-Verteidigerin Sarah Kirsch: „Es ist schlimm, aber da müssen wir durch, weil wir dann auch sehen werden, welche unserer Freunde makellos bleiben, und das ist sehr schön...“ Sodann den TV-Serienschauspieler Cleve Bakster zum Silikonbrüste- Verbot: „It will get terrible, but it has to be done. At the end wie can see and feel who of our friends really has it. And that is more than beautiful.“ Dieser zuerst in einer Talk-Show geäußerte Gedanke wurde sogleich von der New Yorker Feministin Jennifer Blum aufgegriffen wurde: „If I understand you right, we need a Titsi — more Tittensicherheit!“ (im Originaldeutsch). Les éxtrêmes se touchent: Einmal, indem die geforderte Makellosigkeit natürlich genau dasselbe ist, was die Stasi seinerzeit auch erreichen wollte, und zum anderen, weil dort nun so etwas wie eine innere und hier — in den USA — typischerweise eine äußerlich perfekte Schönheit verlangt wird — also eine Rasterfahndung nach der ursprünglichen Reinheit: mit der Stasi bzw. dem Silikon als big Versucher. In einer immer beliebter werdenden Talk-Show (moderiert von Joan O'Connor) hatte sich das Gespräch jedoch weder um die Stasi noch um Silikonbrüste gedreht und gewendet, es ging um die US-Geheimdienste, deren Fixierung auf den Kommunismus für immer mehr Amerikaner ihre Abschaffung notwendig macht. Viele fordern wenigstens ihre Privatisierung — nach dem Vorbild des deutschen Nachrichtenmagazins 'Der Spiegel‘ (mit ordentlichen Informantenhonoraren und Werbeeinnahmen etwa). Merkwürdigerweise spielt auch hier das Silikon wieder eine Rolle — und zwar das Silikon-Valley: in dem es Anfang der 70er Jahre einigen Hippie-Intellektuellen gelungen war, das Monopol des blauen Riesen zu brechen — IBM: Computer für jeden — PCs. Und mit Brüsten hatte dieser sog. Silikon-Valley-Schock damals insofern etwas zu tun, als die Computerisierung der Haushalte ohne die Frauenbewegung undenkbar gewesen wäre: ohne die Frauen, die sich weigern, noch länger die Festplatten ihrer Männer zu sein.

Zurück zur Stasi-Debatte in San Diego: Besonders die These des Wahl-Texaners Erich Ritter löste heftige Kontroversen aus: Der Pynchon-Spezialist meinte nämlich, daß die ganze deutsche Stasi-Debatte ein einziges Ablenkungsmanöver sei. Dazu zitierte er aus einer bisher geheimgehaltenen Treuhand-Studie über Arbeitnehmervertretungen in den ehemaligen ostdeutschen Großbetrieben: Nur dort, wo es den Betriebsräten gelungen ist, die Forderung nach einer „lückenlosen Aufarbeitung der Vergangenheit“ abzublocken und die anstehenden Privatisierungsvorgänge der Treuhand statt dessen aktiv mitzugestalten, wären bestimmte Westkonzern-Strukturvorgaben nicht oder nur mangelhaft durchgesetzt worden. Und das, obwohl die Ost-Presse als erstes von West-Zeitungskonzernen aufgekauft und die Betriebsberichterstattung sofort abgeschafft worden sei und die für Wirtschaftsdelikte zuständige Polizeiabteilung in Berlin ausschließlich mit „Stasi-Verbrechen“ beschäftigt sei, so daß sie zum Beispiel nicht einmal mehr überprüfen könne, ob die für bestimmte Privatisierungen zuständigen Treuhand-Manager Eigentumswohnungen gerade von den Immobilienentwicklern der Stadt bekommen hätten, denen sie dann bestimmte Industrieobjekte später zuschanzten.

Kurz und gut: Die in den eingewesteten Medien heftigst geführte Stasi-Debatte — bis hin zu den jüngsten Anderson-Arschloch-Anwürfen — soll nur davon ablenken, daß währenddessen den ehemaligen DDRlern auch noch die letzte Datsche unter dem Arsch weggezogen wird. Und das Nachrichtenmagazin 'Der Spiegel‘, das für sieben Millionen Dollar Stasi-Akten und -Informationen gekauft habe, hätte es geschafft, ein für sein Veröffentlichungsgeschäft günstiges Stasi-Akten-Gesetz verabschiedet zu bekommen. Es gäbe mittlerweile sogar mehrere neudeutsche Buchverlage, die ausschließlich von der Stasi-Debatte lebten, behauptete Ritter; bei dem Silikonbrüste-Streit ginge es dagegen nur um die Schmälerung des Einkommens einiger weniger Makellosigkeitschirurgen: „No problem — paranoia!“ David Lean

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