: Mir sagen haite „Tschuiss!“
■ Von verschollenen Dialekten: Die tausend rußlanddeutschen Pfingstler in Bremen kämpfen mit eigenartigen Sprachproblemen
Herr Denhof kann noch von Glick reden. Er hat zuhause in Frunse, der Hauptstadt Kirgisiens, sein Daitsch vornehmlich aus einer alten Lutherbibel bezogen. Damit bringt er sich hier in Bremen nicht übel durch. Andere Rußlanddeutsche, die etwa aus den Wolgagebieten zugewandert sind, kamen an und machten den Mund auf, und die alte Heimat ihrer Tagträume verstand sie nicht: Ihr sonderbarer Dialekt aus altschwäbischen Sprachresten ist hierzulande gründlich verschollen. Sie kennen nicht auf Lidderadurisch sprechen, sagt Herr Denhof.
Im Jahre 1763 begann die Zarin Katharina II., deutsche Siedler anzuwerben. Inzwischen leben in der Sowjetunion 1,9 Millionen Menschen, die sich als deutschstämmig bezeichnen. Fast alle geben auch Deutsch als ihre Muttersprache an. Denjenigen aber, welche jetzt nach Generationen wieder zurückkehren, steht in der Regel ein Schock bevor: Die friher gekommen sind, sagt Herr Denhof, haben mich berait gemacht, daß am schwierigsten sein mecht mit der Sprache. Selbst er, der nach 10 Monaten Sprachkurs jetzt wieder in seinem Buchhalterberuf arbeitet, hat sein Wörterbuch immer dabei.
Als während des Weltkriegs Stalin die deutsche Sprache verboten hatte, zog sie sich auf eine geradezu katakombische Existenz innerhalb der Familien zurück. Im Draußenleben sprachen alle russisch. Jetzt hat sich's häufig umgedreht. Die Zugewanderten
Die Wolgadeutschen bewahrten in ihren Dörfern eine seltsame Sprache: uraltes „Daitsch“, verwüstet von russischen Einflüssen. In Bremen müssen sie jetzt mühsam lernen, „auf Lidderadurisch“ zu sprechen
sprechen ihr etwas abgestandenes, in Sprachkursen mühselig vitalisiertes Deutsch, wo sie eben müssen: in der Arbeit, beim Einkaufen oder, wie Herr Denhof sagt, auf der Obrigkeit. Zuhause aber verfallen sie gern in die einzige Sprache, deren sie sich noch sicher sein dürfen: Geht das laichter und schneller mit Russisch, sagt Herr Denhof und lacht, aber mit der Länge tut sich das verbessern.
Was nicht alles auf einmal schwierig ist! Tausende neuer Wörter, und dazu noch alle die aus dem Englischen oder Französischen einverleibten; Tschuiss! sagen mir haite, sagt Herr Denhoff, statt Auf Wiedersähn. Während, wer dennoch in der vertrauten Sprache etwas zu sagen wagt, schon fürchten muß, wieder ausgerutscht zu sein. Ein Aussiedler auf die Frage, warum er seine Kinder nicht mitgebracht habe: Weil sie blöd sind. Und die Frau? Auch blöd. Und da hat er sie dennoch heiraten mögen? Ist doch besser, bin ja auch ein bißchen blöd. Da hat er einfach ahnungslos ein fossiles blöd verwendet, ein versteinertes Wort sozusagen: In einem vergessen Dialekt hat blöd einmal soviel bedeutet wie schüchtern.
Das Beispiel ist eines von vielen, die Karin Mitri, Lehrerin am Schulzentrum Koblenzer Straße, gesammelt hat. Sie vermittelt dort in Tenever, wo die meisten Übersiedler leben, Kindern die deutsche Sprache, die es sich großteils noch schwerer machen als die Eltern. Frau Mitri weiß von Schülern, die sich weigern, zuhause noch deutsch zu sprechen; Herrn Denhofs Söhne Peter und Paul etwa. Die Eltern sprechen ja nicht deutsch, sondern daitsch, sagen die beiden. Im deutschsprachigen Unterricht schweigen dann selbst solche beharrlich, die sich in den Russisch-Stunden am eifrigsten beteiligen. Es ist vermutlich unerträglich, in einer Sprache holpern, die man nach allem Herkommen geradezu pflichtgemäß beherrschen müßte.
Leicht gehen die Jungen zwischen zwei Welten verloren. In den Pausen sprechen sie russisch, und zugleich sehnen sie sich nach dem perfekten Deutsch in dem Maß, in dem sie das „mangelhafte“ ihrer Eltern verachten. Dabei ist ihre eigene Sprachform noch stärker von russischen Einflüssen überlagert: Da sagen sie schon mal, daß sie gleich mal in Jahrmarkt gehn, Zeitung holen - weil eben das russische jarmarka alles bezeichnete, wo's was zu kaufen gab.
Am Ende aber stehen in der Gemeinde der Rußlanddeutschen die Generationen gegen alle Widrigkeiten zusammen: Eltern wie Kindern gehören fast ausnahmslos der quasi urchristlichen Glaubensgruppe der „Pfingstler“ an. Obwohl dieses Bekenntnis seinen Angehörigen nicht nur Fernsehen und Theater, sondern etwa den Frauen sogar das Tragen von Hosen verbietet, halten auch die Kinder, wiewohl mit Schmerzen, daran fest. In Bremen sind mittlerweile gut tausend rußlanddeutsche Pfingstler beisammen, aufgeteilt auf zwei Gemeinden. Und ein paarmal die Woche trifft man sich zu inbrünstigen Versammlungen, wo Russisch und Daitsch bunt durcheinandergehen. Manfred Dworschak
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