Flüchtlinge noch im Hungerstreik

In Schwalbach geht Hungerstreik der Asylbewerber in die zweite Woche/ „Rückflüchtlinge“ aus Sachsen-Anhalt wollen nicht zurück  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Der Versammlungsraum der hessischen Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge (HGU) in Schwalbach bei Frankfurt gleicht einem Feldlazarett. Auf Matratzen aus den Beständen der HGU liegen etwa zwanzig Asylbewerber aus der Türkei, Kurdistan und dem Iran, die Flaschen mit „Contrex“ immer griffbereit neben sich auf dem schmutzigen Fußboden. Noch nicht einmal Lappen und Eimer zum Saubermachen soll ihnen die Lagerleitung zugestanden haben — von ärztlicher Betreuung ganz zu schweigen. Die haben Flüchtlingshilfegruppen aus Frankfurt organisiert, denn der Hungerstreik der Männer, die alleine oder mit Familie aus Sachsen-Anhalt zurück nach Hessen geflüchtet waren, geht heute in die zweite Woche. Sie fordern von der zuständigen hessischen Sozialministerin Iris Blaul (Die Grünen) ein Bleiberecht, denn sie seien „keine Flüchtlinge zweiter Klasse“. Sogenannte Rückflüchtlinge aus Thüringen und Sachsen, die in der vergangenen Woche gleichfalls in den Hungerstreik getreten waren, hatten dieses Bleiberecht nach einem Gespräch mit der Staatssekretärin im Sozialministerium, Brigitte Sellach (Die Grünen), zuerkannt bekommen und den Hungerstreik abgebrochen. Für die zwanzig „Rückflüchtlinge“ aus Sachsen-Anhalt, so eine Sprecherin des Ministeriums, könne es dagegen keine Duldung des Aufenthalts in Hessen geben, weil Sachsen- Anhalt — im Gegensatz zu Sachsen und Thüringen — auf dem Rücktransport der Asylbewerber bestehe.

„Wir sind entschlossen, so lange zu hungern, bis auch wir hier in Hessen bleiben können“, sagte der Sprecher der hungerstreikenden Iraner am Wochenende. Das Argument aus dem Ministerium, daß es auch in den westlichen Bundesländern zu Gewaltakten gegen Asylbewerber gekommen sei und das Bundesland Nordrhein- Westfalen bei den Überfällen einen „Spitzenplatz“ einnehme, beeindruckt die Hungerstreikenden nicht. Die Bevölkerung hier im Westen, so der Iraner, sei anders. Hier habe bei rechtsradikalen Überfällen kein normaler Mensch Beifall geklatscht — „aber im Osten ist uns die Bevölkerung generell feindlich gesinnt“. Eine junge türkische Mutter, die mit ihren Söhnen und dem kranken Mann aus Halberstadt zurück nach Schwalbach geflüchtet war, berichtet erregt: „In der DDR waren unsere Kinder dem Tode nahe. Es gab kein Telefon, keine ärztliche Versorgung und keine Polizei. Unsere Kinder kamen mit blutigen Gesichtern aus der Schule. Wir gehen niemals dorthin zurück.“

Von dem Gespräch mit der Staatssekretärin waren die Flüchtlinge enttäuscht: „Entweder hat Frau Sellach keine Ahnung von unseren Problemen, oder sie hat kein Herz.“ Die Sprecherin des Ministeriums, Susanne Nöcker, erklärte gestern auf Anfrage, daß man in Wiesbaden bereit sei, nach individuellen Lösungen zu suchen. Die „Rückflüchtlinge“ aus Sachsen-Anhalt würden zur Zeit im Rahmen des hessischen Bleiberecht-Erlasses für im Osten angegriffene AsylbewerberInnen angehört. Doch solange das Land Sachsen-Anhalt auf Rückführung bestehe und die Herausgabe der Personalakten verweigere, sei eine Wiederaufnahme in das normale Asylverfahren in Hessen nicht möglich. Nöcker: „Wir sind eigentlich der falsche Ansprechpartner für die Hungerstreikenden.“ Wie Patricio Aravena von der Gruppe „Hilfe und Betreuung von Flüchtlingen“ erklärte, richte sich der Hungerstreik vornehmlich gegen das sture Verhalten der Landesregierung Sachsen-Anhalts. Aravena: „Die dortige Landesregierung soll den Flüchtlingen das Bleiberecht in Hessen ermöglichen.“