: Gegen die Geschmackszentrale
In Paris haben Musiker, Journalisten und Politiker aus dem frankophonen Sprachraum den multinationalen Popmogulen den offenen Kampf angesagt ■ Von Christoph Becker
Eigentlich erzähle ich in Fällen französischer Kultur-Großmannssucht immer gerne die Anekdote von Elvis Costello. Vor Jahren bemerkte er nämlich im Interview todernst, nächste Woche werde er eine Eingabe an die UNO richten: Aus Menschenrechtsgründen müsse umgehend alle französische Rockmusik verboten werden.
Und normalerweise ist das blöde Witzchen ein ausreichender Lacherfolg, um zu urkomischen Beispielen französischer Popprovinzionalität überzuleiten: Der chronisch melancholischen, anämischen Millionensellerin Mylene Farmer etwa, den verzweifelt vergangenem New- Wave-Ruhm hinterherrennenden Indiochine oder dem quälend kindischen Teeniestimmchen Vanessa Paradis, der man immerhin noch Spurenelemente von Schaupielkunst und seit neuestem einen eleganten Auftritt im Chanel-Commercial anrechnen kann.
Nun, die Zeiten zynischer Witze sind vorbei. Elvis Costello trägt inzwischen Vollbart, und von französischer Großmannssucht kann heute keine Rede sein.
Denn sie haben recht, die Franzosen. Mit all ihrer Kulturarroganz, ihrer Radioquote für französische Popprodukte und ihrem großartigen Kulturminister Jacques Lang. Immerhin scheint Frankreich das einzige hochindustrialisierte europäische Land zu sein, in dem Reste eigenständiger, originärer Musikkultur — Mano Negra, Les Negresses Vertes, Mory Kante, Salif Keita, Papa Wamba, Manu Dibango, Cheb Khaled, um nur die Bekannten zu nennen — existieren können und gepflegt werden. Das einzige Land, in dem trotz Madonna-Vom-Winde- verweht-II-Terminator-II-Dauerbeschuß eine frankophone Kultur weiterbesteht. Das betrifft auch Film und Literatur; vor allem aber Musik.
Natürlich geht es, wenn hier die Rede von eigenständiger Kultur ist, nicht um französische Musik, sondern um frankophone Musik; genauer: um Musik aus dem frankophonen Sprachraum. Um afrikanische, kanadische, karibische und mitunter auch ursprünglich französische Musikkultur. Hauptsächlich aber Musik aus all den Ländern, in denen Frankreich als Kolonialmacht gefrevelt hat und aus denen jetzt Menschen nach Frankreich, nach Paris strömen und all ihre Einflüsse, ihre Ideen, Probleme und Identitäten mitbringen.
Natürlich geht es, wenn die Rede von Frankreich ist, um Paris. Die Zentrale, die Hauptstadt, auf die sich alles konzentriert, wo beinahe alles kulminiert, sich verbindet, sich auch trennt. Fernsehen, Radio, Zeitungen, Magazine sitzen in Paris. Wenn etwas beginnt, dann hier.
Vor kurzem traf sich ein seltsamer Zirkel im „Bataclan“, einem Club im elften Pariser Arrondissement. Hunderte von Musikern, Journalisten, Konzertveranstaltern, DJs und Kulturpolitikern und allen frankophonen Ländern kamen, um der multinationalen Popmaschinerie den Kampf anzusagen. Locker lächelnd, selbstverständlich und mit gewählten Worten. Doch deutlich wurden die dollarschweren Medienkonzerne angegangen, deren logische kommerzielle Intention es ist, Geschmäcker auf möglichst einheitliche Rezeption zu lenken: Denn je mehr Menschen das gleiche mögen, um so mehr kann man von einem einzigen Produkt verkaufen. Je weniger verschiedene Produkte angeboten werden müssen, um so geringer sind die Kosten. Im Prinzip läuft das System auf ein ultimatives Produkt hinaus, das von allen gekauft werden soll. Das „Terminator II“-Prinzip, die absolute Vereinheitlichung, die Zerstörung individueller, lokaler, regionaler populärer Kulturtradition.
Dem wollen die Teilnehmer der Pariser Zusammenkunft unter dem umständllichen Namen „L'Essor Des Musiques De L'Espace Francophone“ entgegenwirken. Sie fordern Vielfalt, Freiheit für kulturelle Identität, für eine Kultur, die Situation und Realität der Gesellschaft reflektiert. Und der Anlaß war das Treffen der Präsidenten aller frankophonen Länder vom 19. bis 22.November in Paris. In einer Note, die Saxophonist Manu Dibango verlas, wurden die Staatschefs aufgefordert, Partei zu ergreifen. So wie die neugegründete Zeitschrift 'L'Evement De la Musique‘, in deren erster Nummer ausschließlich Musik aus dem frankophonen Raum unterstützt wird. So wie die verschiedenen neugegründeten halbstaatlichen Organisationen, die über Kataloge, Adressenverzeichnisse, Festivals, regelmäßige Treffen versuchen, die Musiker aus dem frankophonen Raum zu unterstützen. So wie der französische Kulturminister Jack Lang, der die meisten Frankophonie-Organisationen finanziert und schützend hinter dem gesamten Projekt steht. Das sind schwere Geschütze, natürlich. Und das riecht mitunter nach Ausgrenzung und Franztümelei. Doch die Millionen Dollarsummen, die hinter den multinationalen Popkonzernen und Geschmackszentralen stehen, kann man nicht bloß mit ein bißchen gutem Willen egalisieren. Und Franztümelei kann man in der Bewegung, die den Zydeco Louisianas ebenso selbstverständlich miteinbezieht wie die „Tounes“ Quebecs, die Raps der Pariser Vorstädte, den Highlife Westafrikas oder den Rai Nordafrikas, kaum vorwerfen.
Schön und gut, werden Sie jetzt sagen, die Franzosen sind clever. Aber leider gehören wir nicht zum frankophonen Sprachraum, dürfen uns also kaum an solch lediglich gelungenen Aktionen erfreuen. Berlin oder Hamburg sind schließlich nicht Paris. Und mit dem deutschen Sprachraum ist auch kein Staat zu machen. Stimmt schon. Dennoch: Noch heute schwärmen wir von FehlfarbensMonarchie und Alltag und bewundern das Oeuvre von Kraftwerk, alle Welt ist entzückt über die Energie der deutschen Tekkno-Bewegung, und wenn Element Of Crime ein deutschsprachiges Album veröffentlichen, sind die Magazine voll davon. Selbst so sperrige Projekte wie das „Heimatklänge“-Festival, das jährlich in Berlin veranstaltet wird und alle Formen von Folklore und Weltmusik präsentiert, locken Tausende an Zuhörern. Noch scheint also eigenständige Musikkultur in Deutschland ein gewisses Interesse zu finden.
Daß die Existenz einer eigenen, originären Musikkultur auch die Existenz vieler anderer Kulturen, das Nebeneinander und die Vermischung bedingt, ist selbstverständlich. Insofern hat die Vielfalt der Musikkultur auch eine offensichtliche politische Dimension, kann sie Auswirkung auf das gesellschaftliche Miteinander haben: gleich Akzeptanz.
In einer Gesellschaft, die Ausländer zum Problem erklärt, bedarf es allerdings anderer, aktiver Kulturpolitik von Staat und Privat, bis es soweit sein wird. Frankreich zeigt, wo es langgehen kann.
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