: Vom Nachttisch geräumt: Watschenaugust
Nein, ich bin nicht verwandt mit ihm. Georg Hermann, der Autor von Jettchen Gebert und anderer Berlin-Romane, die ihm den Beinamen „der jüdische Fontane“ einbrachten, schrieb sich nicht nur mit einem r, sondern er hieß auch noch in Wahrheit Georg Hermann Borchardt (1871-1943). Er emigrierte schon 1933 nach Holland. Laureen Nussbaum hat die Briefe, die er 1933 bis 1941 an seine in Dänemark lebende Tochter schrieb, jetzt herausgebracht. Sie handeln vom schwierigen Geschäft des Überlebens.
Es gibt Passagen in diesen Briefen, an die man gerade heute erinnern sollte. Zum Beispiel diese: „Je größer ein Staat, desto schlechter geht's seinen Bewohnern, desto größer das Ausmaß des Elends, desto tiefer die Unfreiheit des einzelnen. Deutschland ist wieder mal auch hier über alles: größtes Maul, größtes Elend, größte Unfreiheit, tiefste Ungerechtigkeit des Staats gegen das Individuum. Man denke an die Judensache. Zum Schluß hat der Antisemitismus mich erst geschädigt, solange er nur das Propagandamittel einer Partei war, dann mich verboten und verbrannt, als diese Partei Staatspartei wurde und mich meiner Existenz beraubt, als sie der Staat selbst wurde, und die Welt macht es mit uns wie der Clown im Circus. Da torkelt ein armes altes Männechen in der Manege herum, und der Clown sagt mitleidig: ,Ach Gott, der arme Mann tut mir leid‘, und holt aus und haut ihm eine Ohrfeige. Und wenn der Alte weint, ruft er wieder: ,Ach Gott, der arme, alte Mann!‘ und haut ihm noch eine.“ So in einem Brief vom 22.Oktober 1934.
Der letzte Gruß ist vom 9.Juli 1941. Eine Karte ins Blaue. Ihre Vorgängerin war zurückgekommen, hatte die inzwischen in Teheran lebende Tochter nicht erreicht. Nun versucht Hermann ihr über Bagdad zu sagen, daß es ihm so schlecht nicht mehr gehe: „Sonst lebe und lese ich sehr ruhig dahin eigentlich.“ Im November 1943 wurde er nach Auschwitz verschleppt.
Georg Hermann: Unvorhanden und stumm, doch zu Menschen noch reden — Briefe aus dem Exil 1933-1941 an seine Tochter Hilde. Hrsg. von Laureen Nussbaum, persona verlag, 269 S., Schwarzweißabbildungen, 30 DM
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