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Die Witzearbeit und das „zweite Lachen“

■ BREMER EINFALLSPINSEL, Teil 5: Gerold Paulus / taz-Serie zur Bremer Zeichner- und Karikaturisten-Szene

Foto:

Mann,

Hand am Kinn

Gerold Paulus, gesehen von Falk Heller

Massa Marittima, Toscana: In der Hosteria Tronca hängt an der Wand die Zeichnung eines deutschen dissegnatore, der unter dem Namen Paolo stadtbekannt ist. Man bringt seine Kinder zu ihm, zum Porträt. Wenn er irgend kann, wohnt hier im eigenen Häuschen der Bremer Zeichner und Cartoonist Gerold Paulus. Und wenn Essen und Trinken und Leben ihm Zeit lassen, arbeitet er hier auch: in diesem Herbst etwa an einem jener so überaus gut verkäuflichen, illustrierten Geschenkebücher, die für den Nachttisch gemacht und heiter sind. Thema diesmal: „Männer“.

Humboldstraße, Bremen: Wenn es sein muß, lebt hier der Schwabe, Ex-Meßdiener, Ex- Philosoph, Ex-Kunstgeschichtler, Ex-Kunst- und Musikpädagoge und private Jazzpianist Gerold Paulus, der von sich sagt: „Ich habe nix gelernt.“ Umgeben von einem Klavier, 72 verschiedenfarbigen Grafiker-Stiften und den Jahrgangsbänden der graphics annual brütet Paulus hier komplette Werbeoffensiven für Hightec-Firmen aus und den neueste Feuerwehr-Witz für das monatliche „Feuerwehr-Magazin“ (verkaufte Auflage: 50.000). Oder eine Karikatur für die Berliner taz, wo er auf der Einspringerliste steht.

1951 in Sigmaringen geboren, wuchs Paulus als Beamtensohn in Tübingen auf; der Vater war bei der Bezirksregierung für Bauwesen und Feuerwehr(!) zuständig und setzte alles daran, den Sohn von der Kunstakademie fernzuhalten. Dessen Rache: er wurde kein Beamter, stattdessen verlacht er diese Spezies in seinen Karikaturen (Petrus zu einem Einlaß begehrende Egghead mit Aktenordner unterm Arm: „Sie sind wahrscheinlich der Beamte...?“). Anfang der 70er — „Ich wollte nur meine Schwester besuchen“ — kam Paulus nach Bremen, praktizierte bei einer Werbefirma, studierte Kunstpädagogik an der Uni. Ohne Elterngeld. Dort entstand sein „erstes und letztes Ölbild“ und ein Beitrag zum großen Chile-Wandbild bei der Mensa: erhobene Hände eines Jungen und ein Stück Stacheldraht, ein echter Paulus.

Werbegrafiker: das ist der Name für einen Umweg, den Paulus ging, der „eigentlich immer Zeichner sein“ wollte. Er zeichnete, layoutete, textete und gestaltete für eine Zeitarbeitsfirma, für die Kundenzeitschrift von Eduscho, für die Securitas-Versicherung und machte einen Kalender für den Schuppenbekämpfer Dr.Dralle (der leider in einer Firmenschublade verschwand). Er „säuberte“ Firmensignets und brachte eine Computerfirma ein BITchen näher an den Kunden: „Da sind ganze Linien von mir.“

Heute bekommt Gerold Paulus häufiger zu hören: „Was, Sie sind auch Werbegrafiker?“ Die Verhältnisse haben sich umgekehrt, Paulus schätzt, daß seine Arbeit nur noch zu 20% aus Werbegrafik besteht. Der Rest: Illustration, Cartoon, Karikatur. Der Oldenburger Lappan-Verlag gab Sammelbändchen zu den Themen „Fahrrad“ und „Feuerwehr“ („Lalülala“) heraus. Juristenrepetitorien beim feinen C.H.Beck- Verlag lockert er mit „Paragrafiken“ auf. Die Süddeutsche Zeitung druckt ihn regelmäßig ab, und eine Münchener Agentur verkauft ihn bis in die Ukraine. Sein Vorbild war lange Zeit der ge

„Bremer Einfallspinsel“ ist eine taz-Serie zur Bremer Zeichner- und Karikaturisten-Szene. Wer verdient hier mit gezeichneten Witzen und schrägen Einfällen sein Geld? Sind das alles Scherzkekse? Auf wessen Kosten wird gelacht? Wo kommt der Einfall her? Was zeichnet den „Strich“ aus? Bisher erschienen: Harm Bengen (15.10.), Buzz Bütow (24.10), Nils Fliegner (6.11.) und Heinz Fuchs (19.11)

strenge Bremer Zeichner Buzz Bütow, mit dem Paulus die Vorliebe für eine noble englische Zeichenfeder teilt. Zunächst arbeitete er wie Bütow ganz puristisch ohne Bildunterschrift. Doch der Wortwitz ließ ihm keine Ruhe: „Und beim Wasserlassen brennt's?„, fragt der Doktor den Feuerwehrmann. Der „Witzearbeiter“ Paulus — „Weniger als die Hälfte der Witze fällt mir ein; der Rest entsteht conceptionell- analythisch“ — liebt besonders den „Witz mit Nachbrenner“. Das zweite Lachen.

In der Regel haben Paulus-Figuren dicke Füße. Und dicke Nasen. Und Kulleraugen oder gar keine. Letzteres ermöglicht den typischen „wunderbar tumben Gesichtsausdruck“, mit dem Paulus seine letzten Wahrheiten verkünden läßt. Sein Strich ist eine unbekümmerte Annäherung an die Ideallinie, der Zeichenstil eher plakativ; die dritte Dimension wird selten versucht, Schraffuren sind die Ausnahme. Bildunterzeilen sind meist unverzichtbar, weil sie den Witz erst machen.

Eine ganz besondere Form von Wortspielerei ist Grundlage des „schlechtest verkauften Buches seit der Erfindung des Buchdrucks“ (Paulus): „Tierische Gesellschaft: Bestiarium“ heißt es und ist im Christians-Verlag (Hamburg) erschienen. Die Rate etwa ist ein räudiger Nager mit gestückeltem Schwanz, dazu gibt's ein Marx-Zitat zur „Profitrate“. Oder die MeinEidechse: Vorn hebt sie die Schwurhand, hinten hebt sie den Schwur mit überkreuzten Fingern wieder auf. BernharDiener, KrokoDeal, DemaGockel: Da konnte sich Paulus in einenm aufwendig gemachten Buch aufs Munterste gehenlassen.

Über die Sau di Arabien hat er „lange nachgedacht“: Ein Schwein mit arabischer Kopfbedeckung auf dem Rücken eines Kamels. Durchaus mißzuverste

Zeichnung:

Schwein

auf Kamel

Aus: „Tierische Gesellschaft — Bestiarium“, dem „schlechtestverkauften Buch seit der Erfindung der Druckkunst“ (Christians-Verlag, 14,80 DM). Zum Bild gehört der Satz „Alle Menschen sind Feinde. Alle Tiere Genossen“ (George Orwell). Um Mißverständnissen vorzubeugen.

hen, araberfeindlich zu deuten. Paulus denkt, mit dem Orwell-Zitat „Alle Menschen sind Feinde. Alle Tiere sind Genossen“ aus dem Schneider zu sein. „Meine Inhaltlichkeit ist klar“, hofft er.

Kennt er Grenzen der Zeichnerei? Gerade was „Frauenwitze“ angeht, hatte Paulus „lang Zeit Angst, was falsch zu machen“. Heute vertritt er die Position, „meinen Chauvinismus einzuarbeiten, nicht davor zu scheuen.“

Blindenwitze? „Ein Blinder kann über sich lachen wie jeder andere auch.“ Einmal steht ein Schwarzer an einem Schalter. Frage des Beamten: „Warten Sie wirklich schon so lange?“ Es sei, sagt Paulus, die Gnadenlosigkeit der Sprache, die sich hier zeige, ihr Rassismus. Würde: das ist ein Wort, mit dem er was anfangen kann. Burkhard Straßmann

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