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Die Motte als Kalligraphin

■ r Henkel ist künstlerischer Mitarbeiter der Ökologie-Station / Ausstellungen dortselbst und im KITO / Kunst-Rätsel unter Bäumen

Paßfoto

Mann

Werner Henkel

Ein hoher lichter Mischwald in leichter Hanglage. Am Wurzelstock eines umgestürzten Baumriesen liegt eine mannsgroße Figur, eine Mischung aus ägyptischer Mumie und gigantischer Schmetterlingspuppe. Weiter, auf einer Lichtung, stehen seltsame Sonnenkollektoren, in denen grüne Platanenblätter miteinander verlötet sind. Von dem krummen Zweig einer Hainbuche hängen Schnüre, die zu Holzstücken führen, das Ganze hat die Form eines überdimensionalen Blattes dieses Gebüschs mit Blattachse und —adern. Und in einem Brombeergestrüpp stehen lauter kleine Fähnchen mit kalligrafischen Zeichen. Ein rätselhafter Wald.

Es ist dies der Wald der Ökologie-Station Bremen Nord, nah beim Schönebecker Schloß. Um dem ökologischen Bildungsauftrag der Station gerecht zu werden, scheut man dort keine Kosten und Mühen. Man hält sich sogar einen „Hauskünstler“, der den zahlreichen Schulklassen und Seminaristen einen ganz speziellen Zugang zur Ökologie bieten kann. Der Mann heißt Werner Henkel, ist Jahrgang '56, Kunst- und Behindertenpädagoge und ein Glücksgriff. Von ihm stammen die irritierenden Waldinstallationen auf dem Gelände der Öko-Station; und es handelt sich durchweg um einfühlsame, poetische und zugleich sehr durchdachte Arbeiten eines Künstlers in und mit der Natur.

Werner Henkel ist ein Forscher. Er sucht in der Natur nach Gesetzen, Strukturen, gültigen Formen. Hat er etwas entdeckt, versucht er sich an der Transformation in die eigengesetzliche Welt der Kunst. Wie bei der Brombeer-bewohnenden Miniermotte: Dem Ei entschlüpft, frißt sich der Winzling durch das Brombeerblatt, wird dabei immer dicker und frißt immer mehr. Resultat: sich windende, breiter werdende Fraßgänge. Werner Henkel sah „kleine Kalligraphen“ an der Arbeit und versucht, sich ihre formalen Lösungen anzueignen. Auf Fähnchen, in Buchform.

Jeder Baum folgt in seinem Wachstum bestimmten Gesetzen. Das gilt für die Krone wie für die feinste Verästelung. Was macht Werner Henkel? Er legt aus den Ästchen von Fagus, Ilex oder Petula „Schriftzeichen“, mit denen er eine „Brieffreundschaft mit Bäumen“ möglich machen will. Und das jeweilige Schriftbild erinnert tatsächlich an den entsprechenden Baum.

Daß alles Kunst sei, was er macht, behauptet auch Henkel nicht. Da ist vieles auf dem Weg. Weiße Blätter, die er im Gelände auslegt und monatlich austauscht, um zu sehen, was sich angesammelt hat (Blätter, Blüten, Staub, Fraßspuren von Schnecken): Das ist näher an der Versuchsreihe eines Leistungskurses Biologie als an der Kunst. Die Frage nach der Kunst stellt Henkel sich häufiger. Sicher ist er sich nicht, ob er mit der Ökologie „symbiotisch“ zusammenarbeiten kann oder ob er letztlich nur illustriert oder didaktisch von Nutzen ist.

Sicher ist er sich allerdings, daß er nicht für den Kunst-Markt arbeitet. Schon allein die Vergänglichkeit seiner Arbeiten, Zerfall des Chlorophylls, Verrotten groben Leinens, Bewuchs seiner Objekte mit Knöterichen ... sprechen dagegen. Doch sein künstlerisches Interesse galt nie dem Tafelbild: Henkel machte immer schon „Projekte“. Er realisierte mehrere Projekte zum Thema „Radioaktivität“, z.B. „In dubio contra rem“ 1989 in der Weserburg mit Achim Manz und Wulf Sterneberg. Er fotografierte ein Mais-Stoppelfeld im Winter, malte Kringel an die Stoppelenden und erklärte das ganze zur Partitur (musikalische aufgeführt 1990 in der Angestelltenkammer). Im München baute er ein Art „Zen-Garten“ aus Getreidekörnern und Bleiplatten.

Das Projekt „Kunst und Ökologie“ war eine typische Bürokratenidee: kostet wenig (ABM) und könnte ja was bei rauskommen. Ein Ökolge, eine Kunsthistorikerin und eben Werner Henkel wurden eingestellt, heraus kamen zwei Seminare. Die beiden anderen sind längst abgesprungen. Ein geplantes Symposium kam nicht zustande. Nur Henkel, für den hat etwas angefangen, der hat hier Entdeckungen gemacht. Er will auf jeden Fall weiter mit der Ökostation zusammenarbeiten. Obwohl er nicht einmal ein Atelier hier hat. Aber: „Ich steh sowieso lieber im Wald.“ Bus

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