piwik no script img

Premiere in der (Ost-)Berliner Volksbühne: Henry Hübchens Menschenfeind, Regie Frank Castorf

Die Theatermode dieser (und wohl auch noch der nächsten) Saison: Die Castorfelei. Henry Hübchen, dessen Menschenfeind am vergangenen Sonntag in der (Ost-)Berliner Volksbühne mit einem brillanten Ensemble Premiere hatte, war schon in mehreren von Frank Castorfs Inszenierungen zu sehen — darunter auch im Berliner Geheimtip Das trunkene Schiff nach Paul Zechs wildem Rimbaud/Verlaine-Stück. Kein Wunder also (und auch nicht verwerflich), daß sich manches aus Castorfs Arbeit bei Hübchen wiederfindet: Die einmontierten Texte anderer Autoren, die plötzlichen Extemporés der Schauspieler, die zeitweise heftige Körperlichkeit des Spiels, die plötzlich losbrausende Popmusik. Schade nur, daß unter all diesen (manchmal auch sehr witzigen und einleuchtenden) Effekten Molières zeitlos geniale Reflexion über radikalen Moralismus, Koketterie, Karrierismus und Amour fou manchmal fast zu verschwinden droht: Minutenlang wird auf Anweisung der kapriziösen Celimène (Claudia Michelsen) ein Sofa hin- und hergetragen, bis es den ihr genehmen Platz gefunden hat; ein junges Mädchen namens Hübchen (offenbar die Tochter des Regisseurs) tritt im Badeanzug auf und monologisiert mühsam aus theoretischen Texten zum Feminismus; eine Schauspielerin bricht plötzlich aus der Rolle aus und schmäht, peinlich heranschmeißerisch, die Art von Theater, die das Publikum gerade erlebt. All das braucht Molières Menschenfeind nicht: Selbst in der holperig-prätentiösen Übersetzung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens hat der Text noch viel von seiner komischen Sprengkraft und dramaturgischen Raffinesse. Ob Alceste, von allem und jedem enttäuscht, am Ende in die Einsamkeit flieht, bleibt bei Hübchen offen. Würde man sämtliche Regie-Faxen streichen, käme ein straffer, finster-komischer, schauspielerisch homogener Theaterabend zustande. Allmählich hofft man, daß Leute wie Castorf und Hübchen sich bald auf ihre zweifellos bedeutenden Regisseursqualitäten besinnen und das Nachholen von 70er-Jahre-Überrumpelungstheater hinter sich bringen. kno

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen