piwik no script img

Sohn des Volkskammerchefs jagt Schwarzarbeiter

■ Thomas Sindermann, einst Leiter der Ostberliner Mordkommission, betreibt heute die Detektei »Die 3«/ »Man muß nach vorne schauen«

Berlin. Die Straßen werden holpriger, irgendwann lauert eine Umleitung, und dann geht's auf Feldwegen weiter bis Karow. Kaum zu glauben, daß dies hier draußen ein Ortsteil der Hauptstadt ist. Die Häuser in der Lanker Straße sehen recht komfortabel aus und sind alle ganz gut in Schuß. Der Wohnsitz von Thomas Sindermann, einem der ersten Privatdetektive Ostdeutschlands, steht etwas versetzt von der Straße weg. Gepflegter Garten und vor der Garage eine Limousine. Am Eingang selbst steht kein Name und auch auf das Läuten der Schelle reagiert niemand. Klopfen, Rufen, Klopfen. Nichts.

Die Tür zum Souterrain steht offen, und versteckt hinter einer Ecke im Hausflur sitzt er da, mit dem Rücken zum Schreibtisch. Natürlich hat Sindermann den Besuch längst erwartet. Sein Büro wirkt provisorisch, im Zentrum des Raums steht ein großer Eßtisch, und an den zum Teil holzgetäfelten Wänden hängen Jagdtrophäen. Unwillkürlich werden Assoziationen zu den ersten Enthüllungen aus der Wendezeit der DDR wach, als herauskam, daß Honecker und seine Wandlitzgenossen fast wie Feudalherrscher auf die Pirsch in ihren privaten Revieren gingen.

Mit einem knappen »Ja« beantwortet Thomas Sindermann die erste Frage, ob er ein Sohn des einstigen Volkskammerpräsidenten der DDR, Horst Sindermann, sei. Seine Detektivkollegin Liane Müller aus Prenzlauer Berg hatte im Interview wenige Stunden zuvor noch geantwortet: »Das weiß ich nicht, da müssen Sie den Herrn schon selbst fragen.« Ein offenes Geheimnis, doch in der Ex- DDR ist man vorsichtig und erst recht unter Detektiven. »Die ostdeutschen Detekteien wurden von den Medien sogar schon als die fünfte Kolonne der Stasi gehandelt«, erklärt Sindermann die Vorbehalte gegenüber der Presse.

Der Verdacht, daß das Gewerbe »Auffanggrube für ehemalige Stasi- Mitarbeiter« sei, ist so abwegig nicht, waren doch etliche Ostdeutsche, die sich jetzt als Detektive versuchen, vor ihren Entlassungen im Polizei- und Justizapparat beschäftigt. So auch Sindermann. Als Major der Kripo war er jahrelang Leiter der Mordkommission. Während Sindermann beteuert, er komme »nicht aus dem Stasi-Bereich«, sieht die Sache bei einem ehemaligen Studienfreund schon anders aus. Jörg Behm, heute Leiter der selbsternannten »1. Ostberliner Detektei und Auskunftsagentur« hatte nach dem Kriminalistik-Studium als Sachverständiger im Bereich »Kriminaltechnik« des MfS gearbeitet.

Für die in neue Freiheiten aufbrechenden Ostmedien aber bleiben die einstigen Protagonisten des alten Systems ein gefundenes Fressen. »In der harten Wendephase 1989 wurde mir nahegelegt, aus dem Polizeidienst auszuscheiden, wegen meinem Namen und meiner Verwandtschaft.« Ob das alles war? Und Sindermann erklärt ohne Umschweife: »Mein Haus wurde von einem Betrieb der Nationalen Volksarmee gebaut. Natürlich wurde mir da die Ausnutzung von Privilegien angelastet. Das Disziplinarverfahren, das gegen mich eingeleitet worden ist, wurde später allerdings wieder eingestellt.« Dennoch trennte sich die Polizei nicht zuletzt aufgrund des öffentlichen Drucks von der »Altlast« Sindermann, »im gegenseitigen Einvernehmen«, wie dieser zu erklären sucht.

Die Eltern wurden aus Wandlitz verjagt. »Die sind dann erst mal hier bei uns untergekommen.« Der Vater ist vor einem Jahr an einem Herzinfarkt ziemlich bald nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis gestorben. »Meine Mutter hat inzwischen eine kleine Umsetzwohnung in der Frankfurter Allee zugesprochen bekommen. Die verkraftet das alles nicht«. Da werden ganz persönliche Wunden aus dem Zusammenbruch der DDR sichtbar. »Auch mir sind nach der Suspendierung alle möglichen Sachen durch den Kopf gegeistert«, Doch schon bald verdrängte der Major a.D. aufkeimende Fluchtgefühle oder Auswanderungspläne.

Den Kopf in den Sand stecken, den alten Zeiten ewig nachtrauern, so wie sein Bruder, der vor der Wende als Journalist beim 'Neuen Deutschland‘ gearbeitet hat, das gab es für ihn aber nicht. »Man muß immer nach vorne schauen.« Und das tat er denn auch, der inzwischen 35jährige, der sich für einen »coolen Typ« hält. Auch wenn der Polizeidienst für ihn nicht mehr in Frage kam, wollte Sindermann beim Aufbau einer neuen Existenz doch weiter auf seine beruflichen Erfahrungen zurückgreifen können.

Schon bald trat er in Kontakt mit dem größten Detektivdachverband Deutschlands. In Wolfgang Bahr, dem Landesgruppenleiter beim Bund Deutscher Detektive (BDD), der zugleich die Schöneberger Detektei Schimmelpfennig leitet, meint der Ex-Mordkommissar »eine kompetente Person« gefunden zu haben. »Der hat uns offen aufgenommen«, faßt Sindermann die berufliche Starthilfe und inzwischen angelaufene Kooperation einiger Ostdetekteien mit dem BDD zusammen. Für eine endgültige Mitgliedschaft im Verband müssen die Neudetektive allerdings eine zweijährige Berufspraxis nachweisen können. »Die haben auch Angst, daß wir denen mit stümperhafter Arbeit ihren guten Ruf versauen. Aber die kriminalistische Ausbildung ist bei uns ja häufig viel besser als bei etlichen Westkollegen. Dafür haben die uns kaufmännisch was voraus.«

Bereits im Februar 1990 hatte das Bezirksamt Weißensee innerhalb einer Woche Sindermann die notwendige Gewerbegenehmigung erteilt. »Danach mußte man sich natürlich erst mal einen Markt erobern und Geschäftskontakte aufbauen. Meine Frau kam dann auf die Idee, die Rechtsabteilung einiger Banken und Kreditinstitute direkt anzusprechen.« Und tatsächlich sind inzwischen zwei namhafte Banken auf das Angebot der Sindermannschen Detektei Die 3 zur »Schuldnerermittlung« eingegangen. Mit Hilfe zeitweiliger Pauschalisten versucht Die 3 seither Scheckbetrügern und untergetauchten Kreditnehmern auf die Schliche zu kommen. Aber auch aus anderen Bereichen der Wirtschaft bezieht Sindermann seine Aufträge. »Da geht es dann oft um sogenannte Leumundermittlungen, bei Immobiliengeschäften und ähnlichem. Da muß man häufig das alte Umfeld der betreffenden Person durchforsten und bestimmte Sachverhalte auch schon mal unter Legenden erfragen.«

Und wenn Sindermann dann manchmal trotz aller detektivischen Kniffe nicht mehr weiterkommt, ist »eine gute Kundenbetreuung« gefragt. »Oft steht der erforderliche Aufwand ja gar nicht mehr in Relation zu den Kosten. Das versuche ich dem Kunden zu vermitteln und rate zum Abbruch.« Andere Detekteien, gerade im Westen, schraubten die Honorare dagegen skrupellos in schwindelerregende Höhe. »Denn aus Angst vor der Öffentlichkeit vermeiden die meisten Klienten gerichtliche Auseinandersetzungen. Die suchen ja gerade Diskretion, und darauf bauen diese unseriösen Detekteien dann«, weiß auch Wolfgang Bahr vom BDD ein Lied über gängige Geschäftspraktiken aus dem Metier zu singen.

Ein weiteres Berufsfeld für Sindermann sind Recherchen in Sachen Wirtschaftskriminalität und Schwarzarbeit. »Ein Arbeitnehmer der Firma X läßt sich beispielsweise für einen längeren Zeitraum — etwa ein halbes Jahr — krankschreiben und geht dann einfach irgendwo anders schwarzarbeiten. In diesen Fällen sind meist Observationen erforderlich. Ähnlich verhält es sich auch, wenn ein Auftraggeber Auskünfte über seinen Ehepartner haben möchte.«

Ob er keine Probleme damit habe, nach der Wende plötzlich auf der anderen ideologischen Seite zu stehen, quasi als Handlanger für kapitalistische Unternehmen? »Nein, wissen Sie, wie viele ehemalige Kollegen, die jetzt erst gekündigt werden, sich jetzt Rat suchend an mich wenden? Jeder muß doch heute zunächst mal seine eigene Existenz sichern, versuchen, auf eigenen Füßen zu stehen. Die Firma ist Kunde und muß es möglichst auch bleiben.« Schwarzarbeit sei eben Schwarzarbeit.

Auch wenn Sindermanns Detektei inzwischen ganz gut angelaufen ist, so ist es finanziell noch nicht das, was er sich vorgestellt hat. Die Preise im Osten sind, trotz der häufig besseren kriminalistischen Ausbildung der Privatermittler, niedriger als im Westteil der Republik. Für etliche Recherchen, die schon mal einen ganzen Tag beanspruchen können, kassiert Die 3 oft nur Pauschalhonorare zwischen 70 und 80 Mark. Hinzu kommen ungewohnte Probleme mit der westlichen Bürokratie, etwa dem Finanzamt. »Die Polizeiarbeit hat mir da schon mehr Spaß gemacht«, kommt Jungdetektiv und Altkommissar Sindermann zum Schluß doch noch ins Grübeln. Andreas Kaiser

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen