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DEBATTEDie Unbezähmbaren

■ Memmingen bestätigt: Es gibt keinen Schutz der weiblichen Intimsphäre

Zu „Affektausbrüchen“ von Wut und Empörung hat das Revisionsurteil des Bundesgerichtshofes im Fall des Frauenarztes Horst Theissen wohl keine Frau mehr verleiten können. Höchstens führt es zu einem Zustand des „dumpfen Brütens“, den das Reichsgericht 1927 als Umschreibung für die Suizidgefährdung ungewollt Schwangerer unter staatlichem Gebärzwang fand und sie von der Bestrafung ausnahm.

Vorzuherrschen scheint die Stimmung jener Frauen, die lakonisch und achselzuckend einen weiteren Fall patriarchalen Rollbacks konstatieren oder die — wie die Berufspolitikerinnen — krampfhaft versuchen, das Urteil als endgültigen Abgesang auf das Indikationsmodell zu deuten. „Aus der Debatte haben wir uns innerlich doch schon längst ausgeklinkt.“ Mit diesem Spruch dürften Lebensgefühl und Rechtsbewußtsein engagierter Frauen — und zwar nicht nur von Feministinnen — charakterisiert sein; von Frauen, die seit Jahren öffentlich die unterentwickelte Verhütungskultur heterosexueller Männer anprangern, die sich mit den vielfältigen Verweigerungshaltungen von Frauen in heterosexuellen Beziehungen beschäftigen. Verweigerung gegenüber dem gesetzlich vorgeschriebenen Hindernislauf von Beratung und Indikationsfeststellung oder unerträgliche Abbruchbedingungen führte zu Umgehungsstrategien — zu Fahrten ins Ausland oder auch nur ins nächste Bundesland. Ein Bedürfnis nach umfassender Beratung — dem Zauberwort des gegenwärtigen „Diskurses“ — war und ist dabei empirisch nicht auszumachen, eher ein Gefühl der Bedrängung durch derlei gesetzlich geplante Zwangsfürsorge.

Rechtswohltaten?

Das konnte den Recht setzenden und anwendenden Männern nicht verborgen bleiben. Wahrscheinlich sind sie es, die „dumpf brüten“ — darüber, daß für alle Frauengenerationen dieses Jahrhunderts dasselbe gilt: Die ungewollt Schwangere ist unbezähmbar, sie ist nicht zu disziplinieren, schon gar nicht mit den Mitteln des Strafrechts; ja, oft drängt sich der Verdacht auf, daß sie dieses gar verhöhnen will!

Können Frauen mit Sicherheit keine Rechtswohltaten, das heißt entscheidende Rechtsfortschritte bei einer Reform der Strafgesetze erwarten, so bleibt ihre Aufgabe — auch die der feministischen Juristinnen —, die neuen Reglementierungsformen, die Verlagerung der sozialen Kontrolle auf den subtileren medizinischen Zwang, zu entlarven. Noch fehlt der ungewollt Schwangeren die patriarchale Zäsur zwischen ihrem Leib, ihrem Erleben und dem in ihr entstehenden Potential; sie setzt sich mit ihrem Handeln sehr wohl in Widerspruch zur Rechtssetzungsmacht, die dem Fötus eine eigene Existenz und Rechtssubjektivität verleihen will. Doch leider halten die meisten Frauen diese Verweigerung in einem privaten Bereich verschlossen, wenden sie die Skepsis gegenüber dem Recht nicht offensiv in Forderungen nach einem Recht, das der Differenz der Frauen Macht verleiht.

Es scheint an der Zeit, daß eine breite Bewegung von Frauen den Entwurf eines Frauenrechts des Körpers, der Unverletzlichkeit, der sexuellen Selbstbestimmung und der Gebärautonomie in einer neuen Verfassung gestaltet und einfordert. Zumindest aber ein Grundrecht auf die Entscheidungskompetenz in dem existentiellen Konflikt, der nur Frauen treffen kann: nur ihnen droht der staatliche Zwang zum Gebären, zu lebenslanger Mutterschaft. Die unterschiedlichen Frauen, die bisher an der Verfassungsdebatte teilgenommen haben, fordern ebenso wie inzwischen das Kuratorium ... in Art.3 GG anzufügen: „Jede Frau hat das Recht zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austrägt. Dieses Recht darf nicht beschränkt werden.“

I wie Interruptio

Doch auch im Urteil des BGH gibt es einen Punkt, an dem es Frauen möglich wäre, ein eigenes Rechtsbewußtsein öffentlich zu setzen. Die Richter bestätigen nämlich, was aus Prozessen wegen sexueller Gewalt gegen Frauen hinlänglich bekannt ist: Ein Schutz der Intimsphäre von Frauen existiert nicht! Die Richter lehnten die Feststellung ab, daß die Beschlagnahme der gesamten Patientinnenunterlagen beim Frauenarzt Theissen rechtswidrig war. Die Verteidigung hatte schon zu Beginn der Hauptverhandlung in Memmingen beantragt, das gesamte Verfahren einzustellen, da die rechtswidrig von unzähligen Patientinnen erlangten Beweise nicht verwertet werden dürften. Zwar sieht das Gesetz (§97 StPO) eine Ausnahme von der Beschlagnahmefreiheit im Arzt-Patientinnen-Verhältnis vor, wenn der Arzt Beschuldigter einer Straftat ist; doch müssen hier Rechtsgüterabwägungen zwischen der grundrechtlich geschützten Intimsphäre von Patientinnen und dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch stattfinden. Daß die Bundesrichter dann, wenn es um die Intimsphäre ehrenwerter Männer geht, durchaus zu höchst sensiblen Rechtsgüterabwägungen in der Lage sind, haben sie an anderer Stelle bewiesen.

Der BGH bemängelt nun in seiner mündlichen Urteilsbegründung, „daß von der Verteidigung nicht vorgetragen worden sei, welche Patientinnen mit der Verwertung ihrer Karteikarte nicht einverstanden gewesen seien“. Offenbar ist ihnen eine Generaleinwilligung von Frauen in die Invasion ihrer Intimsphäre durch Polizisten und Staatsanwälte vorstellbar.

Aber es rächt sich hier auch, was im angeblich wohlverstandenen Interesse der zu schützenden Patientinnen Verteidigungsstrategie war: die Frauen blieben unsichtbar, die für sich ein Recht auf Achtung ihrer Intimsphäre einforderten. Es gab nicht das Widerständige auf der justitiellen Ebene — einige wenige nur hatten, wie wir wissen, Einspruch gegen die Strafbefehle eingelegt, mit denen gegen sie Geldstrafen wegen Regelwidrigkeiten beim Schwangerschaftsabbruch verhängt worden waren. Hunderte zahlten, klammheimlich hoffend, daß sie nicht öffentlich als Zeuginnen ans Licht gezerrt würden. Hier wäre eine parteiliche Interessenvertretung der Zeuginnen notwendig gewesen.

Nicht nur der Frauenarzt und seine Verteidigung muß den Schutz des Verhältnisses zwischen Arzt und Patientin vor unverhältnismäßigen Eingriffen der Strafverfolgungsorgane reklamieren, sondern die beteiligten Frauen selbst müssen präsent und fordernd sein. Schließlich geht es um ihre Intimsphäre, die von Staatsanwalt Krause in unerträglichem Maße durchschnüffelt worden ist. Alle Frauen müssen sich verdeutlichen, daß sie beim Gang zum Frauenarzt/zur Frauenärztin keinen Geheimnisschutz ihrer intimsten Körper und Seele berührenden Details gewärtigen können. Im Gegenteil...

Kein Staatsanwalt mußte und muß sich rechtfertigen, in wildem Verfolgungseifer eine Lawine von Ermittlungen wegen §218 ff StGB lostreten zu wollen; er kann sich genüßlich beim Durchstreifen der Karteikarten zurücklehnen und — wie geschehen — die Fälle des großen „I“, der Interruptio, des Schwangerschaftsabbruchs, aussortieren, die Frauen identifizieren und verfolgen. Zufallsfunde nennt er dann, wovor er die Augen als wachsamer Kontrolleur nicht habe verschließen können.

Noch kein Skandal

Die Dimensionen der geschilderten Angriffe auf die Intimsphäre von Frauen, die sich einem/r Frauenarzt/ ärztin anvertrauen, sind bisher kein öffentlicher Skandal. Nötig wäre jedoch eine Diskussion in den Dimensionen etwa des Volkszählungsboykotts — mit Rechtshilfefonds, eigenen Klagen auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Beschlagnahmen vor dem BVerfG und schließlich der klaren Sicht, daß auch jede Fristenlösung vor derlei Mißachtung der Intimsphäre von Frauen nicht schützt. Notwendig ist ein Zeugnisverweigerungsrecht für Patientinnen bezüglich all der Angaben, die im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch dem Arzt gegenüber gemacht werden — nur dann kann eine Beratung sich im geschützten Vertrauensraum abspielen. Claudia Burgsmüller

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