„Geburt einer neuen Macht“

■ Eigenlob und kritische Mahnungen nach dem Gipfel in Maastricht

Berlin (dpa/ap/taz) — Frankreichs Wahlberechtigte müssen sich demnächst durch 270 Seiten literarisch hochstehende Vertragstexte wühlen. Das meinen zumindest einige Abgeordnete aller Fraktionen in der französischen Nationalversammlung, die fordern, daß in einem Referendum über die Ergebnisse des Maastrichter Gipfels entschieden wird. Möglicherweise wird sich auch Staatspräsident Francois Mitterrand anschließen, der bereits im Fernsehen erklärt hat, die Ratifizierung von derartig weitreichenden Verträgen müsse eine „Angelegenheit aller Franzosen“ sein. Motiv für den Drang nach Befragung des Volkes könnte sein, daß die oppositionelle RPR in der Nationalversammlung keine besondere Neigung zeigt, für die Europapolitik der regierenden Sozialisten zu stimmen.

In Maastricht, so hatte Mitterrand seine Arbeit und die der elf übrigen Regierungschefs gelobt, sei eine „sehr große Macht geboren“ worden. Überall in der Welt könne sich Europa nun „als erste Macht der Erde bestätigen“, ergänzte er.

Die Perspektive eines gestärkten Europas war es, die gestern auch aus der ersten Stellungnahme von George Bush sprach. Der US-Präsident nannte den EG-Gipfel einen „Meilenstein“. Zugleich erinnerte er daran, daß damit die Nato keinesfalls obsolet geworden sei. Vielmehr müßten „Europas Schritte zur Einheit (...) unser erneuertes Atlantisches Bündnis stärken“. Auch auf wirtschaftlichem Gebiet verlangte Bush Mäßigung. Die EG müsse vermeiden, in den Protektionismus zu verfallen, sagte er. Die EG müsse sich für ein offenes Welthandelssystem einsetzen.

Rundum gefeiert wurde das Maastrichter Ergebnis hingegen von den beteiligten europäischen Regierungen. Je nach nationalen Besonderheiten lauteten ihre Erfolgsmeldungen jedoch unterschiedlich. Während man sich in Paris rühmte, die Rechte des Europaparlamentes gegen das Votum der übrigen EG- Mitglieder kleingehalten zu haben, tröstete Bundeskanzler Kohl seine Landsleute gestern damit, daß über die Demokratie in der Gemeinschaft noch nicht das letzte Wort gesagt sei. Auch in der Frage zusätzlicher deutscher Abgeordneter im Europaparlament verwies er auf künftige Entscheidungen: Ohnehin müsse die Zusammensetzung des Parlamentes nach einer Erweiterung der Gemeinschaft neu diskutiert werden, dann komme auch eine angemessene parlamentarische Vertretung der neuen Bundesländer wieder auf den (EG- )Tisch, versicherte er.

EG-Kommissionspräsident Delors nannte gestern die gemeinsame Währung den „Tiger im Tank“ Europas. Im Gefolge des Ecu würden „zwangsläufig“ auch die Demokratie und die Politik in Europa vorankommen, so Delors fromme Hoffnung. dora