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Die Weißwurst-Abtreibung

Wenn Männer-Politiker alles aussitzen, dann sollen Frauen gefälligst auch alles austragen. Dies christ-soziale Dogma war bis vor kurzem in Bayern relativ intakt. Doch seit die DDR-Altlast eines „menschenverachtenden Abtreibungsrechts“ gesamtdeutschen Boden „verseucht“, gleicht die Münchener Staatskanzlei einem Hühnerhof.

Die Möglichkeit, daß abtreibungswillige Frauen aus dem Freistaat in der ehemaligen DDR den Eingriff ganz legal nach dem Tatortprinzip durchführen lassen könnten, bereitet den CSU-Zerstoibern schlaflose Nächte. „Die DDR darf nicht zum Schlachhof ungeborenen Lebens werden“, wetterten schon vor der deutsch-deutschen Kopulation christsoziale Familienplaner gegen das CS-Reizthema. Dabei sollten sie eher mal vor dem eigenen Schlachthof kehren — denn von dort drohen ganz neue Gefahren.

Seit dem Memminger Abtreibungsprozeß hat sich das familienpolitische Klima im Freistaat drastisch verschärft. Die Staatsregierung, hart bedrängt von der Kirche, scheiterte zwar vorerst mit ihren Plänen für eine Verschärfung des Paragraphen 218, doch nur noch wenige bayerische Ärzte stellen eine Indikation, Folge: der Abtreibungstourismus floriert, vor allem in die neuen Bundesländer. Doch nicht jede Frau ist gewillt , die entwürdigende „Mutterfahrt“ anzutreten. Die schwangere Yvonne S., 19, gehört dazu. Die gebürtige Münchnerin fragte sich, ob es im Zeitalter der Machbarkeit nicht möglich sein müßte, „den Feind mit seinen eigenen Waffen zu schlagen“. Auf der Suche nach Mitteln zur Behebung ihres für sie untragbaren Zustands besann sie sich des Hormonfleischskandals, der seit Jahren immer wieder Schlagzeilen macht. Zwar haben sich mittlerweile die Wogen wieder etwas geglättet, aber an den Würsten, sagte sich Yvonne S., wird sich doch kaum etwas geändert haben. Vier Paar frisch aus dem Kessel genügten Yvonne, um ganz legal das gewünschte Resultat herbeizuführen.

Damit kam der Stein des Anstoßes ins Rollen — und der Hormon-Skandal hatte neben der unappetitlichen eine im katholischen Alt-Bayern besonders pikante Dimension gewonnen: Wenn das von der Kirche ausgesprochene Verbot („Verhütung ist Mord“) schon mit einer typischen Traditionsspeise problemlos umgangen werden kann, sind Schwangerschaftsunterbrechungen infolge höherdosierten Weißwurst-Verzehrs geradezu vorprogrammiert.

Dr.Ernst Liegnitz, Frauenarzt an der Uniklinik München, zu den Auswirkungen des Hormoncocktails: „Der Verzehr einer Weißwurst allein reicht zur Schwangerschaftsverhütung noch nicht aus. Ich würde meinen, paarweise gegessen wird der Verhütungs-Effekt wahrscheinlich. Lassen Sie mich das mal so sagen: ab etwa zehn Stück rechnen wir mit einer erfolgreichen Unterbrechung der Schwangerschaft. Als Faustregel gilt: pro Woche drei Weißwürste. Irgendwo ist da natürlich die Grenze vom Aufnahmevermögen der Frau her.“ Bei Yvonne S. genügte jedenfalls ein zünftiges Weißwurst-Frühstück, um ihr Problem auf typisch münchnerische Weise zu lösen. Der Volksmund spricht längst von der praktikablen „Friß-zehn-Lösung“.

Die Front der Verhütungs- bzw. Abtreibungsgegner südlich des Weißwurst-Äquators droht angesichts dieser Entwicklung gefährlich aufzuweichen. Zerrieben in dem fast unlösbaren Gewissenskonflikt, einerseits bajuwarisch-kulinarisches Brauchtum zu bewahren (Im Freistaat Verfassungsgebot!), andererseits den Empfehlungen der Kirche und des Staates nicht zuwiderzuhandeln, könnte sich eine veritable Weißwurst-Abtreibungsmentalität breitmachen. Die altbayerische Stammesfehde zwischen Wirtshaus und Kirche bekäme wieder neuen Zündstoff. Ob Verkauf und Verzehr von Weißwürsten in Bayern künftig unter den Abtreibungsparagraphen 218 fallen soll, Weißwürste mithin nur gegen Vorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung abgegeben werden, wird von der Staatsregierung derzeit geprüft. Ein Horror- Szenario geistert jetzt schon in den Köpfen der zuständigen Ministranten: Mußten früher Frauen nach Holland fahren, überschwemmen heute die Großmastbetriebe Ostdeutschlands den Markt mit hochgedoptem Hormon-Vieh, das direkt in den Wurstkesseln Bayerns landet. Ein drohender Abtreibungstourismus auf dem Münchner Marienplatz — Busladungen voller Frauen, die unter dem Deckmantel einer deftigen Brotzeit ihr unmenschliches Werk vollbringen — da sträuben sich selbst dem eingefleischten Weißwurst-Fanatiker die Haare.

Einen ersten Schlag gegen die Weißwurst führte unlängst die Münchner Staatsanwaltschaft. Dem 45jährigen Gastwirt Alois W., der einer Hochschwangeren 36 Stück serviert hatte — Lästermäuler bezeichnen diese Dosierung als „Alm- Abtrieb“ — beschlagnahmte sie sämtliche Weißwurstkessel, versah seine Speisenkarte mit schwarzen Balken und drohte mit Entzug der Konzession. Alois W. nahm's gelassen: „I hob dengt, dera schmeckts.“ Rüdiger Kind

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