: Freude und Unbehagen über den Korea-Vertrag
■ Aus Seoul Peter Lessmann
„Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt“ — so könnte man den Verlauf der fünften Gesprächsrunde der Premierminister aus Nord- und Südkorea treffend charakterisieren. Noch zum Auftakt der Verhandlungen in Seoul hatten südkoreanische Tageszeitungen ein pessimistisches Bild über den Ausgang der Unterredungen an die Wand gemalt. Doch nur wenige Tage später setzen zwei strahlende Regierungschefs ihre Unterschriften unter ein historisches Dokument, das die bittere Feindschaft zwischen den seit 46 Jahren geteilten Koreas beenden und die tiefen Gräben der Trennung endgültig überwinden soll.
Doch ob die Menschen aus Seoul schon bald ins nur 200 Kilometer entfernte Pjöngjang oder von dort nach Seoul reisen können, ob direkte Telefonleitungen eingerichtet werden und Briefe die heute undurchdringlichste Grenze der Welt am 38.Breitengrad passieren dürfen, wird vom weiteren Verhandlungswillen beider Seiten und der Frage abhängen, ob das Abkommen durchgesetzt wird.
„Ich glaube nicht, daß wir im Süden im kommenden Jahr in die nordkoreanische Hauptstadt reisen können“, sagt der 26jährige Student Huh Kum Hoe. Doch insgeheim hat er die Hoffnungen nicht aufgegeben, daß es doch so sein könnte. Unter der südkoreanischen Bevölkerung hat der neue Grundlagenvertrag zwar keine Euphorie hervorgerufen — die vielen Alltagsprobleme und wirtschaftlichen Nöte sind vielen wichtiger — aber doch eine weite positive Zustimmung gefunden. Daß gerade Fragen wie Reiseerleichterungen und Familienaustausch den Menschen auf beiden Seiten der Grenze besonders am Herzen liegen, ist angesichts einer 46jährigen Kontaktsperre nur allzu verständlich.
Tatsächlich scheinen die Artikel 15 bis 21 des Dokuments für koreanische Verhältnisse Unmögliches möglich zu machen. Von einem freien Reiseverkehr und Familienaustausch, von der Wiederaufnahme unterbrochener Eisenbahnlinien und Straßen ist die Rede, und auch der Flug- und Schiffsverkehr soll wieder aufgenommen werden. Zehntausende von Briefe, die Südkoreaner an ihre Angehörigen in den Norden geschrieben haben und sich im Büro des Verbandes für die getrennt lebenden Familien stapeln, könnten endgültig ihre Empfänger erreichen.
Lange Zeit hatte sich die Seouler Regierung bei den Gesprächen mit dem Norden fast ausschließlich auf diese ungelösten humanitären Fragen konzentriert, ohne ernsthaft an militärische Entspannung und Abrüstung zu denken. Und das in einem Land, wo sich über eine Million Soldaten bis an die Zähne bewaffnet feindlich gegenüberstehen. Ob sich die geplanten humanitären Erleichterungen, militärische Entspannung und Abrüstung tatsächlich ohne Reibungen durchsetzen lassen, dahinter steht allerdings ein dickes Fragezeichen.
Bis spätestes drei Monate nach Inkrafttreten des Vertrages, und das soll am 18.Februar 1992 sein, wenn sich die Premiers aus beiden Teilstaaten zum sechsten Mal treffen, werden Arbeitsgruppen eingerichtet, die konkrete Maßnahmen der Realisierung ausarbeiten und die Einhaltung überwachen. In Seoul wurde am Freitag mit viel Pathos der Beginn einer neuen Ära der Wiederversöhnung als „größter Jubeltag“ seit der Befreiung von der japanischen Besatzung 1945 gefeiert.
Doch das neue Zeitalter, schrieb eine südkoreanische Zeitung, dürfte ungleich schwieriger werden und steiniger sein als alles andere zuvor. Kim Jong Cha, eine 45jährige Verkäuferin in Seoul, scheint nicht so glücklich über den legendären 13.Dezember: Die Wiedervereinigung Koreas, sagt sie, und befindet sich mit dieser Aussage sicherlich in der Minderheit, mache ihr auch eine Menge Angst und Unbehagen.[wem sagt sie das... die k.in]
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen