: Dem Staat das Leben zu erhalten...
■ Vor 200 Jahren vom Großherzog gegründet: die Hebammenschule Oldenburg
Die Geburtshelferinnen von einst
„Warum trainieren Sie nur so lang mit der vor langer Zeit anbefohlenen Aussuchung und Examinierung der Hebammen!“ geht schriftlich der Vorwurf an Dr. Röhrig. Schließlich sterbe fast jede vierte Frau bei der Geburt oder im Wöchnerinnenbett — die Geburtssituation sei katastrophal. Dieser Beschwerdebrief ging am 26. Februar 1703 im Schloß des Großherzogtums Oldenburg ein.
Daß es einen Zusammenhang zwischen der Höhe der Wöchnerinnensterblichkeit und der Existenz examinierter Hebammmen geben könnte, war der „Obrigkeit“ mittlerweile zu Ohren gekommen. Als der Bevölkerungsstatistiker Süßmilch dafür Zahlen vorlegen konnte, die ihn schließen ließen, daß es Pflicht eines jeden Regenten sein müsse, dem Staat das Leben aller Menschen zu erhalten, und deshalb in jedem Staate billig eine gute Schule zum Unterricht von Hebammen vorhanden sein sollte, trat der Oldenburger Herzog Peter-Friedrich- Ludwig höchstselbst in Aktion.
In landesherrlicher Milde stellte er sieben Jahre lang aus eigener Tasche die Mittel für Unterbringung und Unterricht künftiger Hebammen bereit — und legte damit den Grundstein für die heute noch existierende „Hebammenschule Oldenburg“, die im November ihr 200jähriges Bestehen feierte.
In den „Wöchentlichen Anzeichen“ Nr. 27, Jahrgang 1791, ist erstmals der Betrieb der Schule belegt: Die zur Erlernung der Hebammenkunst tüchtigen Personen haben von den Herren Ärzten gründlichen Unterricht unentgeldlich erhalten. Aus dieser Schule sind bereits verschiedene, bei einer im Beisein einer obrigkeitlichen Person angestellten,
hier das
antike
Damenkränzchen
genauen Prüfung tüchtig befundene und deshalb mit den Zeugnissen der Geschicklichkeit versehene Hebammen aufs Land gegangen.“ Aufs Land gehen die Oldenburger Absolventinnen nach ihrer drei Jahre dauernden Ausbildung zur staatlich geprüften Hebamme heutzutage immer seltener; aus diesem Grund fällt mittlerweile auch der Unterricht in plattdeutscher Sprache weg.
Als Lehrhebamme Elisabeth Peineke — sie unterrichtet seit 21 Jahren die Hebammenschülerinnen — vor fast vierzig Jahren zu arbeiten begann, überwachte sie die Geburten noch mit dem Hörrohr. Heute werden die Frauen an ein CTG-Gerät angeschlossen, das die Herztöne des Kindes und Wehen-Verlauf kontrolliert. Das eigentliche Betätigungsfeld der Hebammen hat sich dagegen wenig verändert.
Was den Geburtsablauf entscheidend verändert hat, ist der medizinische Fortschritt: „Die Möglichkeiten der Überwachung während Schwangerschaft und Geburt und des Eingreifens bei Komplikationen und die der Nachsorge haben sich in den letzten dreißig Jahren enorm vergrößert“, erklärt Prof. Dr. Mühlenstedt, dessen erste Herztöne vielleicht auch eine Hebammen- Schülerin während ihrer praktischen Ausbildung mit dem Hörrohr erahnte — in der Oldenburger Frauenklinik wurde er geboren, seit elf Jahren ist er ihr Chef.
Stolz ist er darauf, daß Deutschland seit etwa zehn Jahren weltweit die Spitze in Sachen Sicherheitsstandard für Mutter und Kind hält. Dennoch finden Geburten heute auch nicht mehr in völlig steriler OP-Atmosphäre statt: Die Kreißsäle in Oldenburg sind tapeziert und mit Bildern versehen, es gibt indirekte Beleuch
tung. Doch der Arzt, der während einer komplikationslos verlaufenden Geburt fast nichts zu tun hat und die Betreuung der Hebamme überläßt, muß jederzeit eingreifen können: „Bei 15 Prozent der Geburten gibt es unerwartete Akutsituationen, trotz einer völlig risikofreien Schwangerschaft“, sagt Mühlenstedt. Einen Trend zu alternativen Geburtsmethoden hat er nicht beobachten können.
Auf dem Theorie-Ausbildungsplan für Hebammen stehen heutzutage Fächer wie Anatomie und Physiologie, Krankheitslehre, Physik, Chemie, Gesetzeskunde, Betriebslehre und Arzneimittellehre. Doch nach wie vor sind vor allem „Handarbeit“ und Einfühlungsvermögen wichtig. Auch wenn die meisten Hebammen in Kliniken angestellt sind und die werdenden Mütter meist erst unmittelbar vor der Geburt kennenlernen, soll „ein Gefühl von Menschlichkeit“ rüberkommen, so Elisabeth Peineke. Wenn mitten in einer Geburt der Schichtwechsel ansteht, sind Überstunden selbstverständlich. Und welcher Berufsjargon klingt heute noch so: „Das kindliche Köpfchen muß nach Austritt aus der Schamspalte gesenkt werden...die hintere Schulter wird über den Damm geboren...das Kind wird auf den Leib der Mutter gelegt.“ Daß das Neugeborene als eine der ersten Lebenserfahrungen an den Füßen aufgehängt seinen ersten Schrei ausstößt, weil es gerade einen Klaps auf den Po bekommen hat, gehört heute nicht mehr zum Geburtsritual.
Um Nachwuchs braucht sich die Oldenburger Hebammenschule nicht zu sorgen. Für die 15 Plätze, die alle drei Jahre nach Abschluß eines Jahrgangs frei werden, bewerben sich jedesmal über 200 Frauen. Die Absolventinnen haben keine Schwierigkeiten, einen Job zu bekommen — viele kommen nach Bremen. „Wer aber denkt, das ist ein Traumberuf, wird schnell wieder auf die Füße gestellt“, meint Frau Peineke. Mit einem Angestellten- Gehalt auf Krankenschwestern- Niveau, mit Schichtdienst und Feiertagsarbeit — bei ständiger Rufbereitschaft als freiberufliche „Beleghebamme“, die ihre 'Kundin' in die Klinik begleitet — dabei vergehen so manche romantischen Träume. Susanne Kaiser
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