piwik no script img

Zeitschriften: Musik-Express / Fachblatt / Audio / Spex

THOMASGROSS „Die Scheibe groovt.“ Eine Platte „besticht durch unaufdringliche Intelligenz und jugendlichen Charme“, eine andere durch „sicheres Gefühl für Spannung, Dramatik und Timing“. „Außergewöhnliche emotionale Tiefe“ ist das Gütesiegel der neuesten LP von John Martyn, während Timbuk 3 durch „Spielfreude und Eleganz“ zu überzeugen wissen. Der Sänger von Cassandra Complex präsentiert seine Show „mit düsterer Eindringlichkeit“, U2s Neueste kennzeichnet eine „schwere, pumpende Baßlinie“, und ungarische Elektronikbastler kreieren „atmosphärisch dichte Endzeitstimmungen“.

„Treibend“ der Rock, „erdig“ der Blues, „schneidend“ die Gitarre — ein Schelm, wer behaupten wollte, die Macher von 'Musikexpress/ Sounds‘, Deutschlands meistgelesener Musikzeitschrift für den Erwachsenenmarkt, hätten ihren Gegenstand sprachlich nicht voll im Griff. Im Gegenteil: Das Vokabular ist mehr als zupackend. Keineswegs handelt es sich bei diesen Kostproben aus dem Dezemberheft um ausgewählte Stilblüten, der Wortversatz ist Standard. Jeden Monat neu entführt das Magazin seine Leser in die Welt der „großen Rock-Sause“, der „gnadenlosen Groove-Schmieden“ und „psychedelisch frischen Beats“. Die Post geht ab, und ewig pumpt der Baß.

Bedrückend an dieser Parade von Stereotypen ist nicht nur der Ist- Zustand, sondern auch das Schwinden der Erinnerung, daß es irgendwann einmal anders gewesen ist. Kaum mag man noch glauben, daß „Groove“, „Timing“ oder „Sound“ tatsächlich einmal neue, aussagekräftige Wörter waren; daß sie, von konservativen Sprachkritikern mißtrauisch beäugt, wie Fremdkörper im deutschen Sprachschatz wirkten. Nur bei ganz genauem Hinhören schwingt noch etwas mit vom antiautoritären Kitzel, vom Körpergefühl, das einmal mit dem neuesten Ding aus Amerika umschrieben wurde. „Groove“, das meinte vor Urzeiten so etwas wie Kaumasse mit fremden Stoffen, amerikanische (und das hieß letztlich schwarze) Coolness und Großartigkeit. Es war Bestandteil eines Pop-Welsch, in dem der Widerwille gegen die Operetten- und Schnulzentradition der Elterngeneration zur Sprache fand.

Die Kritiken in 'Musikexpress/ Sounds‘ sind der popzeitschriftgewordene Beweis dafür, daß der antiautoritäre Slang, wie viele andere Errungenschaften der Protestbewegung auch, längst zur Folklore verkommen ist — und doch oder gerade deswegen nie wirklich abgelöst wurde. Auf rund 120 Vierfarbseiten fristet er neben New-Age-Rhetorik, Promotion-Lyrik, Klatsch, Branchengeflüster und einigen wenigen gelungenen Hintergrundberichten ein konsensfähiges, glanzloses, befriedetes Dasein — ein Ornament unter vielen, ins Allgemeine abgesunken wie Barock-Elemente an bayrischen Wirtshausmöbeln.

Genesis, Bob Geldof, Boy George, George Michael, die Wildecker Herzbuben, Campino, Hella von Sinnen, Heiner Lauterbach, MC Hammer, Madonna, Michael Jackson, fünf Seiten Rockstarkleidung im Test, die Titelstory über U2, eine Seite mit Zeitgeist-Schnickschnack fürs Weihnachtsfest — beim Blättern im bunten Allerlei verschwimmt ohnehin erst einmal alles ins Unterschiedslose. Der plakative, humorig-witzige Tonfall sorgt für gleichbleibendes Stimmungsniveau, ganz egal, an welcher Stelle man reinliest. Und doch gibt es bei näherem Hinsehen Essentials. So gibt sich das antiautoritäre Erbe heute gerne wertkonservativ. Was einmal gut war, soll es immer bleiben. Keine Ausgabe, in dem nicht in irgendeiner Weise für die Rolling Stones geworben würde. Meist ist es Illustrator Sebastian Krüger, der mit seinen technisch perfekten, aber zur Masche erstarrten Richard- und Jagger-Portraits die Rollingstoneshaftigkeit des Lebens mythisiert: Good booze and bad women. Wo wir gerade beim Thema Stones sind: besonders unangenehm stößt bei der 'ME/Sounds‘- Lektüre ein Rock'n'Roll-Altmachismo auf, der sich bevorzugt in den Klatschkolumnen auf den vorderen Seiten austobt. Wie unter Zwang phantasiert der anonym bleibende Schreiber, der eigentlich nur den Abgang des Rhythmusgitarristen von Guns N'Roses melden will, dort etwas von „rhythmischen Spielen“, die Sänger Axel Rose am „Klangkorpus seiner neuen Gespielin“ durchführt, während Ex-Karat-Sänger Neumi Neumann, seit kurzem mit erbärmlich veraltetem Amadeus-Outfit auf dem nunmehr gesamtdeutschen Markt, im Dekolleté seiner Rokoko-Begleitung selbstredend „knackige Mozartkugeln“ vorfindet.

'ME/Sounds‘ ist die 'Bravo‘ für Erwachsene, eine Mischung aus Klatschblatt, Identitätshilfe und Kaufberatung für den verunsicherten Midlife-Rocker. Ein ausführlicher Backkatalog informiert über die Highlights der Jugend und den Qualitätsgrad der durchdigitalisierten CD- Werkrekonstruktionen. Behutsam wird der Leser auch an neuere Tendenzen herangeführt, bekommt — gleichsam en passant — Rave und Rap erklärt. Das ausgeklügelte Wertungssystem von 1 bis 6 Sternchen kostet die Verträglichkeit der monatlichen Neuerscheinungen systematisch vor. Sogar die Sparte „Underground“ ist proporzmäßig vertreten. Und hat man erst einmal zu der Erkenntnis zurückgefunden, daß die wenigsten Zeitschriften besser sind als ihre Zeit, daß Rock'n'Roll vor allem Business ist und Sex sells, dann bedient 'ME/Sounds‘ seine Klientel durchaus professionell. Wahrscheinlich ist es eben doch so, wie Michael Cretu, der philosophierende Tiefgänger unter Deutschlands Popproduzenten, im Exklusivinterview formuliert: „Der einzig wirkliche Maßstab, den wir haben, ist der Erfolg beim Menschen.“

Bei der Recherche für diesen Überblick fiel mir am Kiosk auch das 'Fachblatt‘ einmal wieder in die Hände. Es war, als hätte ich es nie aus der Hand gelegt. Immer noch die gleichen Bilder von Musikern, die stolz und glücklich vor ihrem Equipment posieren, immer noch dieselbe Art von Fragen. „Von wem stammt denn diese skurrile Perkussion am Anfang?“ bohrt das 'Fachblatt‘, und Mike Rutherford von Genesis antwortet: „Tony hatte diesen Drumcomputer-Teil in seinem Equipment, und da...“

'Fachblatt‘-Leser wollen stets genau wissen, wie was gemacht wird, welche Vorverstärker im Spiel sind, welche Saiten benutzt wurden, wie dieser und jener Effekt zustande kam. Zu 90 Prozent sind sie selbst Musiker und eifern den Produktionen der Großen nach. Spezielle Workshops widmen sich kniffligen Problemen der Aufnahmetechnik. Ein ausgedehnter Anzeigenteil informiert über allerneueste Trends des Hardware- und Instrumentenwesens. Kaum bleibt bei soviel Aufwand noch Zeit für neue Platten, der eigentliche Musikteil ist eher bescheiden. Immerhin werden neben Dinosauriern wie Genesis oder Eric Clapton und den allgegenwärtigen Toten Hosen auch nichtetablierte Bands vorgestellt. Die Platte des Monats gehört im Dezember sogar einer Independent-Band: den Rubbermaids aus Hamburg.

Verändert hat sich natürlich der Stand der Technik selbst. Wußten Sie zum Beispiel, daß sich mit einem handtaschengroßen Gerät, einem sogenannten Voice Processor, auf Knopfdruck bereits fünfstimmige Chöre zu jeder noch so bescheidenen Gesangsstimme hinzusimulieren lassen, und zwar tonartgetreu? Daß Atari-Computer die selbständige Kompositionsleistung des Rechners ohne Probleme in Notenschrift übertragen? Auf der Suche nach Belegen für die These, daß die Technik den Menschen als Subjekt der Geschichte abgelöst hat, wird man im 'Fachblatt‘ alle paar Seiten fündig. Im Mittelpunkt stehen längst nicht mehr die Musiker, sondern Apparate. In der aktuellen Nummer darf man sogar den Apparate-Jahressieger wählen, penibel und „menschlich“ aufgeteilt in Sparten und Leistungsklassen. Komischerweise hat diese Entwicklung hier weder etwas Bedrohliches noch strahlt sie den apokalyptischen Chic französischer Geschwindigkeits-Philosophien aus; eher wirkt sie wie die selbstverständliche Konsequenz technischer Heimwerkelei. Obendrein staunt man, was sich aus so vierkantigen Geräten wie Mischpulten und Verstärkern warenästhetisch alles rausholen läßt.

Noch konsequenter in der Ausleuchtung, Auslotung und Ablichtung mattschwarzer Klangtechnologie sind allerdings Zeitschriften wie 'Audio‘, 'Hifi-Vision‘ oder 'Stereoplay‘. „So kurz vor Weihnachten sitzt die Mark locker“, gibt der Chefredakteur von 'Audio‘ schon im Editorial zu, ein „ganz besonders pralles Kaufberatungspaket“ habe man in diesem Monat geschnürt. „Top- Lautsprecher um 10.000 Mark“, „Super-Vorstufen“, „23 Kopfhörer von 90 bis 450 Mark“, schreit es schon vom Titelblatt. Unverhohlen spekuliert man auf zahlungskräftige Technikbegeisterte, die sich niemals mit dem Zweitbesten zufriedengeben und den Charme des Bastlers längst hinter sich gelassen haben. Das Interesse an Musik und Technik schrumpft auf die Sorge um die Minimierung des Rauschabstands, die Kalibrierung der Frequenzganglinearität und die effektive Weiterentwicklung einer resonanzmindernden Schwungmasse.

Damit all die Lehrer und sonstigen Mittelstandsmenschen aber auch wissen, was sie auf ihren teuren Anlagen hören sollen, gibt es als Heft im Heft einen schmalbrüstigen Musikteil, dessen genauere Beschreibung ich mir erspare. Schon beim flüchtigen Hinsehen wimmelt es nämlich von „dröhnenden Gitarren“, „transparenten Ensembleleistungen“ und „kompakten Rockröhren“.

Wer die Vorstellung nicht loswird, populäre Musik spiele sich weitgehend außerhalb des Wohnzimmers ab, habe etwas mit Renitenz, Teenagerrevolten, schnellem Leben oder gar politischer Sozialisation zu tun, sieht sich — neben einigen Fanzines — nach wie vor auf die Kölner 'Spex‘ verwiesen.

In der aktuellen Ausgabe sind vor allem zwei Beiträge erwähnenswert. Zum einen ein als Plattenkritik getarnter Kurzessay, in dem Diedrich Diederichsen sich anhand der jüngsten Platte des Rappers Ice Cube mit nationalistischen, frauenfeindlichen und homophoben Tendenzen im amerikanischen Hiphop auseinandersetzt. Diederichsen zeichnet nach, wie der Befreiungswunsch unter dem Druck der Verhältnisse die Form der Sekte annimmt und sich in dieser fundamentalistischen Version ausgerechnet gegen jene richtet, die selbst zu den Opfern gesellschafticher Repression gehören. Ice Cubes Haß gilt Frauen („Bitches“), die nicht in sein Weltbild passen, aufstiegsorientierten Schwarzen, sowie allen „motherfuckin' homos“. Die Platte ist nicht zuletzt ein Schock für jeden weißen Hörer, der glaubt, der Befreiungskampf der Schwarzen habe etwas mit seinen alltäglichen kleinen Unzufriedenheiten zu tun. „Man wird wohl nicht darum herumkommen, daß für einen beträchtlichen Teil amerikanischer Schwarzer ein Weißer auf lange Sicht eine genauso unerwünschte Figur sein wird wie ein Kommunist in Rumänien“ — eine Erkenntnis, die, ernst genommen, jeden romantisierenden oder bloß ästhetischen Umgang mit Hiphop-Musik auf der Stelle beenden müßte.

Bei dem anderen Beitrag handelt es sich um ein Interview mit Friedrich A. Kittler, dem einzigen Popstar unter den deutschen Universitätsprofessoren. Schon die Fotos sind die Fünffünfzig für das Heft wert. Der Medientheoretiker sitzt als eine Art Mad Scientist vor allerhand Oszillatoren und Computergerät, das wohl für die Modernität des kittlerschen Ansatzes einstehen soll, mit seinen vielen Kabeln und Knöpfen allerdings eher wie ein etwas verstaubter Synthesizer der ersten Generation wirkt. „Einigen seiner in akademischen Zirkeln stetig mehr werdenden Fans fiel Friedrich Kittler auf, weil er auf eine Weise über Musik schrieb, die es noch nie gegeben hatte“, heißt es im Vorspann.

Die überfällige Auseinandersetzung mit Kittlers Science-fiction- inspirierter Sicht der technologischen Entwicklung (und damit auch der Popmusik) bleibt dann allerdings aus. Der Interviewer beschränkt sich auf ein etwas jüngerhaftes Abtasten des kittlerschen Theoriegebäudes und seiner Zentralbegriffe („Rauschen“, „Kurzschluß“, „Diskursmacht“ etc.). Immerhin bezeichnet dieses Versäumnis einen kritischen Punkt: das Auseinanderklaffen von Techniktheorie auf der einen und popmusikalischem Subversionsdenken auf der anderen Seite. Wie über zwanzig Jahre nach '68 noch dissident über Popmusik zu schreiben ist, wird auch in 'Spex‘ nicht beantwortet.

'Musik-Express/Sounds‘ Dezember 1991. DM 5.

'Fachblatt‘ Nr.12/91. DM 7.

'Audio. Das Magazin für HiFi und Musik‘ Dezember 1991. DM 8.

'Spex‘ Nr.12/91. DM 5,50.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen