Die Ordnung der fünf Linien

■ Die Staatsbibliothek stellt zum Ende des Jubeljahrs Mozart-Handschriften und anderes aus

Was Mozart am wenigsten nötig hatte, war dieses Mozartjahr. Wie auch immer die Bilanz ausfällt — die Vermarktung jedenfalls lief auf Hochtouren, ohne daß es wirklich neue An- und Einsichten zu registrieren gab. Die beiden Berliner Staatsbibliotheken wollten bei den Honneurs nicht hintanstehen und wurden nun aus Anlaß des 200. Todestages ebenfalls aktiv. Damit Mozarts Bekenntnis, wonach das Komponieren seine einzige Freude und Passion sei, auch optisch sinnfällig werde, hat man Handschriften und frühe Drucke von Kompositionen Mozarts zusammengestellt.

Auch wenn diese einen hohen Marktwert besitzen (die Präsentation ist in Anbetracht der Millionenwerte ein Beispiel für Understatement), so bleiben sie als sorgsam gehegter Schatz natürlich unverkäuflich. Sich auf die Handschriften und frühen Drucke einzulassen, die in stattlicher Zahl vorhanden sind und von den Bibliotheken sonst unter Verschluß gehalten werden, bedeutet also etwas Immaterielles, bleibt eine Sache für Liebhaber. »Leider«, muß man sagen, denn die Ausstellung ist tatsächlich entschieden zu puristisch geraten. Dabei hätte sich doch wahrscheinlich genügend Material finden lassen, um all die handgeschriebenen und gedruckten Notentexte durch Illustrationen oder Bühnenbildentwürfe vergangener Inszenierungen anzureichern. So bleibt es eine Sache des Kenners, die mit eiliger Handschrift notierten Kantilenen im Kopf als Musik klingen zu lassen — etwa in der Art des Spiels »Erkennen Sie die Melodie?«

Zauber

Manch einem mag das Ausgestellte wie eine Devotionaliensammlung erscheinen, und das ist es ja auch. Verehrungswürdig um so mehr, als man von dem in der Notenschrift gebannten Zauber der Musik weiß. Neben all der Rokokotändelei, die Thomas Bernhard bissig »Unterröckchen- und Hörnchen-Kritik« nennt, brechen ja immer wieder wahre Abgründe musikalischer Art auf; immer ist ein trauriger Ton im Heiteren gegenwärtig, vermischt sich eine Spur gelöster Heiterkeit mit elegisch gestimmter Trauer. Das mag zur Metaphysik all der dahineilenden Punkte und Striche gehören. Dabei ließ sich das Komponierte beim Niederschreiben kaum in die starre Ordnung der fünf Linien pressen: Hier wird etwas angeklebt, dort etwas überklebt, und an anderer Stelle werden die Zeilen mit eiligen Strichen verlängert, wenn es der musikalische Einfall verlangt. Mozart gibt ein Beispiel für das, was Gert Jonke als »Überschallfliegerei« der Musik bezeichnet, nämlich zwei Dinge gleichzeitig zu vollführen. Während Mozart noch die Fuge zu Papier bringt, denkt er gleichzeitig an das dazugehörende Präludium. Notate werden so zu »Klangerzählungs- Abbildern«.

»Verflucht! D greifen!«

Berlin darf sich immerhin eines Mozart-Besuchs rühmen. Das war im Mai 1789. Im Theater auf dem Gendarmenmarkt (heute befindet sich dort das Schauspielhaus) gab man gerade sein Singspiel Die Entführung aus dem Serail, aber wohl so mäßig und auch falsch gespielt, daß der Komponist protestierend in die Vorstellung eingriff. Iffland berichtet, wie Mozart, »das kleine unscheinbare Männchen im schlichten Oberrock«, plötzlich losdonnerte: »Verflucht! Wollt's Ihr D greifen!« Und da verbreitete es sich wie ein Lauffeuer — »Mozart ist da! Mozart ist da!« — Den königstreuen Berlinern erschien die Hochzeit des Figaro zu despektierlich — so sollte man dann doch nicht mit Herrschaften umgehen.

Sonst waren seine Opern in Berlin stets große Erfolge. Nur die Musikkritiker waren schon damals mehr mit sich selbst beschäftigt als mit den Werken und lehnten beispielsweise Don Giovanni wegen »Überladung der Instrumente« und zuviel Theaterdonners ab. Die ignoranten Hanslicks gab es offenbar zu allen Zeiten.

Schinkel und Hoffmann

Die Zauberflöte erlangte in Berlin schließlich legendären Ruf. Zwar nicht die Erstaufführung von 1794, aber eine spätere, von Schinkel ausgestattete Inszenierung blieb bis heute in Erinnerung. Wer kennt nicht die Sternenkuppel unter nachtblauem Himmel und die auf der Mondsichel schwebende Königin der Nacht! E.T.A. Hoffmann rezensierte diese Zauberflöte und hob vor allem Schinkels Bühnebilder begeistert hervor. Die Entwürfe sind in der Ausstellung nicht zu sehen, dafür gibt es Hoffmanns Begeisterung zu lesen.

Lediglich Johann Peter Lysers kleine Aquarelle geben optische Eindrücke von Mozarts Oper. Es sind Opernszenen, die quasi zum Mythenschatz des Alltags gehörten. Solche Bilder waren ausgesprochen populär und entfesselten auch in späteren Zeiten Sammelleidenschaften. Als Abziehbilder des Zeitgeistes halten sie fest, was damals Herz und Seele berührte.

Die gezeigten Werke reichen von der frühen Azione sacra La Betulia liberata, die den biblischen Judithstoff aufgreift, über das sogenannte Jeunehomme-Klavierkonzert bis hin zu den großen Opern und der Jupiter-Sinfonie. Zum weniger Bekannten zählen die Chöre und Zwischenaktmusiken zu dem heroischen Drama Thamos, König in Ägypten. Ob das Stück des Wiener Staatsrates von Gebler bei der Berliner Aufführung 1786 mit Mozarts Musik gespielt wurde, ist unbekannt. Entgangen wäre dem Berliner Publikum jedenfalls eine stimmungsvolle Illustration. Wer sie heute hören möchte, bekommt zwar dazu nicht mehr das Drama geliefert, aber eben die Musik — zum Beispiel im Januar, wenn sie vom Radio-Symphonie-Orchester unter Nikolaus Harnoncourts Leitung aufgeführt wird.

Purismus

Den Erstdruck der Don Giovanni- Partitur ziert ein Kupferstich: Don Giovanni reicht dem steinernen Gast die Hand, wobei ein geradezu jünglinghafter Cavaliere abgebildet ist. Kaum vorstellbar, daß dies jener »äußerst ausschweifende Edelmann« sein soll. Die entscheidende Frage jeder Inszenierung ist ja ohnedies, ob sie einen jungen Mann als Vertreter eines erotischen Anarchismus vorstellt oder die Sache vom schlimmen Ende her sieht und darum gleich einen ins Alter gekommenen Sexmaniac präsentiert, der sich buchstäblich von der Bühne des Lebens verabschiedet.

So puristisch die Ausstellung angelegt ist, so sehr bietet sie die Konzentration auf das Wesentliche, was für den zurückliegenden Mozart- Rummel nur selten galt. Mozarts Werk selbst soll hier interessieren. Und das ist bekanntlich nicht wenig. Vielleicht entsteht beim Betrachten der Folianten und Notenblätter eine Art imaginäres Theater, gespeist aus den akustischen und optischen Erinnerungen des Betrachters. Wer sich nun allerdings nicht auf seine Einbildungskraft und sein Erinnerungsvermögen verlassen will und unmittelbar akustische und optische Reize sucht, der sollte nach Salzburg reisen, wo jüngst ein Mozart gewidmetes Ton- und Filmmuseum eröffnet wurde. Nora Eckert

Componieren — meine einzige Freude und Paßion , Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Potsdamer Straße 33, bis 8.2.92, Eintritt frei, Katalog 26 Mark. In einer unserer Berlin-Kultur-Weihnachts-Sonderausgaben werden wir CD-Aufnahmen von Mozart- Opern empfehlen, als »Last-Minute-Geschenke«!