Der Spott der Blicke

■ Thomas Langhoff inszeniert Kleists „Käthchen von Heilbronn“ am Deutschen Theater in Berlin

Beim Grafen zu Hause: Helme, Beinschützer und andere Rüstungsteile ruhen in Frieden an der Wand des Gemaches, wo Friedrich Wetter vom Strahl mit jugendlichem Frohsinn die Saiten einer Gitarre schlägt und Knecht Gottschalk den Takt auf der polierten Ritterrüstung klopft. Kunigundes Kammer auf Burg Turneck ist hochdekoriert mit etwa dreißig Hirschgeweihen, hölzern-stumme Augenzeugen der Verwandlungsprozedur, die aus der eigentlich buckligen Frau mit Hilfe eines Schminkkoffers, einer Perücke und ihrer Zofe Rosalie einen blonden Vamp im Hollywood-Stil macht. Käthchen-Mädchen dagegen reist mit einem armseligen Köfferchen durch die Lande, ein Tramp und kein Vamp, der bedingungslos der eigenen Eingebung folgt; ebendarum wird Käthchen zum Spielball anderer Interessen, ohne Reibung mit der Realität, die sie kaum zur Kenntnis nimmt und wenn, dann wird sie vor den Kopf gestoßen und reagiert mit hilflosem Weinen.

Pieter Hein hat auf der leicht angeschrägten Bühne (kaum eine Inszenierung in der ehemaligen DDR, die auf das Schräge verzichten möchte, so wie auf Westbühnen zur Zeit Transparenzwände angesagt sind, die Hein in zwei Szenen ebenfalls untergebracht hat) einen funktionalen Kasten mit blaumelierten Seitenwänden gebaut, die sich öffnen und verschieben lassen. Ein mit der Zeit aufdringliches Blau, das der meist leeren Bühne einen unnötigen Rahmen, dem weiten Bühnenhimmel ein Dach verpaßt. Und Projektionsfläche, die durch Verschiebung und unterschiedliche Akzentuierung immer wieder Tableaus entstehen läßt, schöne und manchmal fast starre Bilder einer mittelalterlichen Ritterwelt.

Gerade Kleists Käthchen, dieser schöngeistige und schönsprechende Dreigroschenroman, dieses verhunzte Märchenstück und Historienspektakel mit all seinen schauerlichen Romantizismen aus der Welt des Mittelalters und des Rittertums, wie Kleist es sich dachte, war in der DDR-Rezeption immer sehr umstritten: Anreiz für Thomas Langhoff, ein Jahr nach Der Zerbrochene Krug noch einen Kleist zu machen? Wieder mit Ulrike Krumbiegel in der weiblichen Hauptrolle. Als Käthchen kommt sie dieses Mal leider nicht voll zum Zuge, weil von ihr nur eine Gangart, eine Tonart angeschlagen werden kann oder darf: die Somnambule, die keineswegs mit traumwandlerischer Sicherheit die Füße setzt, als sie vom Grafen aus dem Stall in die Burg geholt wird. Mindestens zweimal fällt sie in Ohnmacht: zu Beginn, als das Femegericht tagt und sie dazu verdonnert, zu ihrem Vater zurückzukehren und den Grafen nicht weiter zu verfolgen; am Ende, als sie vom guten Märchenonkel, dem Kaiser, zu seiner Tochter erklärt wird und den Grafen heiraten darf. Wie einen Sack legt der Vater die Ohnmächtige dem Bräutigam über die Schulter.

Der Graf (Daniel Morgenroth) ist jung und ein wenig steif und etwas sehr verklemmt. Nicht den entblößten Hals, sondern das Muttermal Käthchens studiert er eingängig, das ihm beweist, daß sie die Frau aus seinem Traume ist; aber auch seine Traumfrau? Noch einen Tag vor der Hochzeit ignoriert er ihre Reize, läßt sie demütigend und quälend im Glauben, daß sie sich für seine Hochzeit mit Kunigunde schön machen soll. Den Oberkörper drückt Friedrich Wetter vom Strahl ganz durch, so daß er immer etwas nach vorne gebeugt steht, er redet zu heftig und läßt das Brodeln widersprüchlichster Gefühle unter der jungenhaft-glatten Oberfläche ahnen. Wollen ihm schwülstige Worte von den Lippen, so schafft der Schauspieler es doch immer, ihnen eine kleine Distanz, eine kleine Brechung zugute kommen zu lassen. Die Kleistsche Sprache wird dadurch nicht blechern, sondern ironisch gebrochen; anders, als wenn Langhoff sich über die ritterlichen Haudegen lustig macht und sie ordentlich auf Blech hauen läßt: Kasperletheater.

Es ist viel drin in dieser Inszenierung und kommt doch nicht ganz zusammen. Sie ist überwiegend amüsant und bis in die Nebenrollen hinein gut besetzt. Die heimliche Hauptfigur aber ist Kunigunde, gespielt von Dagmar Manzel, die das Kunststück fertigbringt, die durch den heimlichen körperlichen Makel gebranntmarkte Frau nicht zur Unperson werden zu lassen. Wie einst Marilyn Monroe trägt sie außerdem eine dicke Brille, die sie aus Eitelkeit meist wegläßt. Kann man wirklich von Eitelkeit reden, wenn ihre ganze lebenswichtige Strategie danach ausgerichtet ist, die Behinderung zu verstecken, nicht schön zu sein, sondern Schönheit zu inszenieren? Darin ist sie eine Meisterin, und Rosalie, ihre Zofe, die ihr hörige Helferin, die sie haßt und liebt zugleich.

Langhoff macht aus Kunigunde eine Frau unserer Zeit, Käthchen dagegen ist aus der Zeit. Das Schlußbild der Inszenierung gilt der sitzengebliebenen, stehengelassenen Giftmischerin, die fassungslos, wenn auch vorausahnend dem für sie Schlimmsten ausgesetzt ist: dem Spott der Blicke. Sabine Seifert

Heinrich von Kleist: Das Käthchen von Heilbronn. Regie: Thomas Langhoff, Bühne: Pieter Hein. Mit Ulrike Krumbiegel, Daniel Morgenroth, Dagmar Manzel, Katrin Klein, Jörg Gudzuhn, Dietrich Körner, Käthe Reichel. Deutsches Theater Berlin.

Weitere Aufführungen: 19., 23. und 25. Dezember