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Brandbomben sind die effektivste Methode

Im Rahmen der „Weihnachtskampagne“ der IRA kam London gestern zum Stillstand/ Bereits über vierzig Anschläge auf englische Einkaufszentren  ■ Von Ralf Sotscheck

Nach einem Bombenanschlag der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) kam London gestern zum Stillstand. Die IRA gab um 5.40 Uhr bekannt, daß sie auf allen acht Fernbahnhöfen der englischen Hauptstadt Bomben gelegt habe. Zwanzig Minuten später explodierte ein kleiner Sprengsatz auf einer Brücke bei Clapham Junction, dem meistbenutzten Eisenbahnknotenpunkt Europas. Die Polizei schloß daraufhin sämtliche Fernbahnhöfe sowie 13 benachbarte U-Bahnhöfe. Bei der Durchsuchung wurden zwar keine weiteren Bomben gefunden, doch die meisten Bahnhöfe blieben bis Mittag außer Betrieb. Hunderttausende Pendler aus den Vororten mußten zu Hause bleiben.

Die IRA hatte bereits am Wochenende erklärt, daß sie ihre „Weihnachtskampagne“ in Großbritannien intensivieren werde. In einer Presseerklärung hieß es am Wochenende: „Die wirtschaftlichen Kosten der Störungen des täglichen Lebens in Großbritannien werden weiterhin steigen, solange die britische Regierung und ihre Armee einen Teil Irlands besetzt halten.“

Allein in Nordirland werden die Kosten für Kompensationszahlungen bei Verletzungen und Sachbeschädigungen in diesem Jahr die Rekordhöhe von 57 Millionen Pfund (ca. 150 Millionen Mark) erreichen. Dazu kommen die Kosten in Großbritannien: In den Einkaufszentren englischer Großstädte sind in diesem Monat bereits über vierzig Brandbomben explodiert, zuletzt am Samstag im Londoner Brent Cross Shopping Centre. Brandbomben sind die effektivste Methode, um hohen ökonomischen Schaden anzurichten. Zum einen sind sie einfach herzustellen, zum anderen ist die Gefahr, gefaßt zu werden, relativ gering. Scotland Yard geht davon aus, daß die verantwortliche IRA-Einheit aus fünf Frauen besteht, die die Brandsätze in ihren Einkaufstaschen in die Läden schmuggeln. Zwar richten die Brandbomben selbst kaum Schaden an, doch die Umsatzeinbußen durch die vorübergehende Schließung der Geschäfte gehen besonders in der Vorweihnachtszeit in die Millionen. Wirksame Schutzmaßnahmen gibt es praktisch nicht. Dennoch warf der Tory-Abgeordnete Ivor Stanbrook seiner Regierung gestern vor, versagt zu haben: „Die Nachrichtendienste tappen im dunkeln“, sagte Stanbrook, „sie wissen nicht, wer diese Leute sind und wo sie wohnen. Die Regierung unternimmt nichts.“

Keine Verhandlungsbereitschaft

Es ist ungewiß, ob die IRA wie im vergangenen Jahr über die Feiertage einen Waffenstillstand ausrufen wird. Viele Mitglieder fürchten, daß eine solche Maßnahme erneut Spekulationen um eine längerfristige Waffenruhe und Verwirrung an der Basis auslösen würde. Der britische Nordirland-Minister Peter Brooke hatte Sinn Fein wiederholt einen Platz am Verhandlungstisch angeboten, falls die IRA die Waffen niederlegen würde. Inzwischen hat sich bei der IRA und ihrem politischen Flügel, Sinn Fein, jedoch die Meinung durchgesetzt, daß Brooke mit seinem Angebot eine bestimmte Taktik verfolge: Ziel des Nordirland-Ministeriums sei es, IRA und Sinn Fein zu spalten sowie dem katholischen Bevölkerungsteil Hoffnungen auf eine Lösung des Konflikts zu machen, die in Wirklichkeit weit entfernt sei.

Darüber hinaus hat die Intensivierung der IRA-Bombenkampagne offenbar keine negativen Auswirkungen auf die Unterstützung für Sinn Fein in Nordirland — eher im Gegenteil. Am vergangenen Donnerstag gewann der Sinn-Fein-Kandidat Patsy Grogan überraschend die kommunale Nachwahl im Wahlkreis Magherafelt mit einer Mehrheit von zwei Stimmen. Die Nachwahl wurde durch den Tod des Sinn-Fein-Stadtrats Bernard O'Hagan ausgelöst, der im September von protestantischen Paramilitärs ermordet worden war. Es war bereits der dritte Wahlerfolg für Sinn Fein innerhalb eines Jahres. Außerdem gilt als sicher, daß Sinn- Fein-Präsident Gerry Adams seinen Unterhaussitz — den er nicht einnimmt — bei den britischen Parlamentswahlen im nächsten Jahr verteidigen wird.

Die ungebrochenen Sympathien für Sinn Fein und IRA in den katholischen Arbeitervierteln sind nicht verwunderlich: Noch immer werden Protestanten bei der Jobvergabe und bei staatlichen Investitionen deutlich bevorzugt, während Schikanen durch die „Sicherheitskräfte“ in den Katholiken-Ghettos zum täglichen Leben gehören. Bei der Bekämpfung der Kleinkriminalität bleibt die Polizei dagegen gänzlich untätig. So ist der IRA eine Art Polizeifunktion aufgedrängt worden. Ihre Strafaktionen, vor allem die Knieschüsse, sind allerdings selbst unter den Sympathisanten höchst umstritten. Amnesty international hatte angekündigt, die Knieschüsse und Erschießungen von Verrätern in ihre internationale Kampagne gegen Folter einzubeziehen. Daraus zog die IRA in der vergangenen Woche Konsequenzen: Sie gab bekannt, daß sie in Zukunft keine Knieschüsse mehr anwenden werde. Statt dessen sollen Wiederholungstäter aus dem Viertel, in schweren Fällen sogar aus Nordirland verbannt werden.

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