: Nato will nicht nach Osten expandieren
■ Große Zurückhaltung auf Jelzins Anfrage einer Nato-Mitgliedschaft für Rußland/ Auch die anderen Osteuropäer abschlägig beschieden/ Genscher verweist auf Kooperationsrat als Alternative
Brüssel (dpa/afp) — Mit großer Zurückhaltung reagierte die Nato am Freitag auf den Wunsch Rußlands, langfristig Mitglied des Bündnisses zu werden. Generalsekretär Wörner wiegelte vor Journalisten ab und erklärte, Jelzin habe ja noch gar keinen Antrag gestellt, sondern lediglich die Frage aufgeworfen. Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher betonte, daß die Mitgliedschaft „kein unmittelbares Ziel der russischen Außenpolitik“ sei. Ein britischer Diplomat bezeichnete die Botschaft Jelzins als „sehr, sehr positiv“, eine Mitgliedschaft sei aber „noch weit entfernt“. In den vergangenen Monaten hatten Vertreter mehrerer osteuropäischer Staaten eine mögliche Mitgliedschaft ihrer Länder in der Nato angesprochen und Sicherheitsgarantien erbeten. Die Nato hatte darauf jeweils mit diplomatischem Schweigen reagiert. Bei der ersten Außenministertagung des Nordatlantischen Kooperationsrates am Freitag in Brüssel habe folglich kein anderes osteuropäisches Land eine mögliche Nato-Mitgliedschaft angesprochen, sagte Genscher. Ziel des Treffens am Freitag sei es gerade gewesen, so Genscher, angesichts der „Nicht-Mitgliedschaft“ der osteuropäischen Staaten für sicherheitspolitische Fragen „kein Vakuum entstehen zu lassen“. US-Außenminister Baker schlug vor, die Nato solle sich künftig stärker innerhalb der KSZE engagieren und überlegen, ob sie für friedenssichernde Maßnahmen ihre Infrastruktur zur Verfügung stellen könne.
Die ehemaligen Gegner, die sich in den Machtblöcken Nato und Warschauer Pakt gegenüberstanden, saßen am Freitag erstmals gleichberechtigt in der Zentrale der westlichen Allianz in Brüssel am Tisch. Der russische Präsident Boris Jelzin überraschte die Konferenz dabei mit der Grußbotschaft, seine Republik erwäge langfristig den Beitritt zur Nato. Jelzin, dessen Erklärung vom sowjetischen Botschafter verlesen wurde, erklärte wörtlich: „Wir stellen uns heute die Frage eines Beitritts Rußlands zur Nato; gleichzeitig sind wir bereit, dies als langfristiges politisches Ziel zu erwägen.“
Rußland wolle den Dialog mit der Nato in jede nur mögliche Richtung entwickeln — auf politischer und militärischer Ebene. „Wir unterstützen voll die Anstrengungen, ein neues Sicherheitssystem von Vancouver bis nach Wladiwostok zu schaffen. Es ist heute wichtig, schnell das Erbe der Konfrontation zu überwinden, entschiedene Maßnahmen für die Reduzierung der Militärpotentiale auf beiden Seiten zu treffen und gleichzeitig das gegenseitige Verständnis und die Vorhersehbarkeit zu fördern“, heißt es in der Botschaft Jelzins. Der tschechoslowakische Außenminister Jiri Dienstbier erklärte, daß am Ende wohl alle Teilnehmerstaaten Mitglied der Nato werden wollten.
Die Außenminister wollen sich künftig jährlich treffen, das nächste Mal im Juni in Oslo. Die Botschafter der 25 Staaten sollen alle zwei Monate zusammenkommen. Neben den Nato-Ländern gehören bisher Polen, Ungarn, die CSFR, Bulgarien und Rumänien sowie die drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland zum Kooperationsrat. An die Stelle der Sowjetunion dürften künftig die neuen Republiken treten.
Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei, die ihr Interesse an einer Nato-Mitgliedschaft bislang am deutlichsten gemacht hatten, zeigten sich auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Treffen zufrieden. „Das Sicherheitsgefühl in Zentraleuropa wird gestärkt“, erklärte der polnische Außenminister Krzysztof Skubiszewski.
Schwerpunkte der Konsultationen des Nordatlantikrates sollen Fragen der Sicherheit wie die Verteidigungsplanung, die Rüstungskontrolle sowie die Umstellung von Rüstungsproduktion auf zivile Zwecke sein. Alle 25 Staaten bekennen sich im Abschlußkommuniqué ferner zur vollständigen Umsetzung des START-Vertrages über die strategischen Atomwaffen und des Wiener Vertrages über konventionelle Abrüstung in Europa. Die Nato gibt den Staaten Mittel- und Osteuropas erwartungsgemäß keine formelle Sicherheitsgarantie. Im Kommuniqué wird lediglich bekräftigt, daß die Sicherheit „eines jeden unserer Länder unteilbar“ sei.
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