■ ARTUR, BERLINOID: Kundendienst
Also, wenn der hinter dem Tresen steht, dann kommt es garantiert, wenn nicht bei jeder Kundin, so doch bei jedem zweiten. »Machen wir's so!« sagt er, freundlich, zuvorkommend, dienstfertig, Ware gegen Geld. Artur hat schon mal Zora gebeten, diesen Fall zu testen. Es wurde ein erschütternder Erfolg. Dieses »Machen wir's so«, als Frage, als Zustimmung oder einfach so, gehört jetzt auch ihnen und den FreundInnen.
Er wird wohl ein Verwandter der Inhaberin des kleinen Zeitschriften- und Lottoladens sein, hat sich, wenn er sie vertritt, dem Ton des Vertrauens angepaßt. Früh mit einer ausufernden Stirnglatze geschlagen, von teigiger Gesichtsfarbe, singt er eben nicht ungezählte Male am Tag dieses »Dankäeeh!«, sondern spricht geschäftlich, der Kunde darf sich gleichberechtigt, wenn nicht gar als Partner, der einen Vorschlag macht, fühlen, »machen wir's so«, mit leicht geschürzten Lippen, seriös. Es ist völlig unerheblich, ob nun Zeitschriften, Kaugummi oder Zigaretten gekauft werden.
»Fabienne und ich waren mindestens zehn Minuten in dem Laden, haben rumgeblättert und so. Wir konnten uns wirklich kaum noch halten«, fuhr Zora sich durchs Haar. »Ob die Leute nun das Geld passend hatten, mit einem Schein oder in Münzen zahlen wollten — ich schwöre es: jedesmal sagte der Mensch ‘machen wir's so‚. Manchmal noch mit einem ermunternden ‘ahm‚ davor oder ‘mhm‚ danach, wenn das Geld rübergereicht wird. Stell dir das mal vor! Wenn der nach Hause kommt, der dürfte eigentlich gar nicht mehr wissen, was er wie machen soll!«
»Ooch«, machte Artur, »manche hängen an ihren Ritualen, auch wenn sie wissen, daß es furchtbar ist. Ich kenne einen Apotheker, der zum Beispiel sagt immer ‘ni?!‚, so als fragende Bestärkung der Kunden, ni?! Sehr brusttönig, ich mach' euch das mal vor: ‘Von diesen Tropfen dürfen Sie aber wirklich nur fünfzehn am Tag nehmen, Frau Havekost, ni?!‚ Und Frau Havekost nickt ernst kreisläufige Einverständigkeit. Herrn Paulukat sträuben sich vor Rührung über soviel menschliche Zuwendung Bartstoppeln und Nackenhaare: ‘Ich lege Ihnen noch die Apothekerzeitung und einen Kuli bei, Herr Paulukat, ni?!‚«
»Ja!« lacht Zora, »keine Massenabwicklung mehr! Individualität ist Trumpf. Obwohl: Wenn's Geld im Kasten klingt, trügt auch der Schein. Machen wir's so?«
Wenn das so ist«, überlegt Fabienne nun, »als ich dieses Praktikum in einem Berliner Plattenladen gemacht habe, damals, da haben mir die Leute oft nicht geglaubt, daß die gewünschte Musik manchmal ausverkauft war. Die trauten meinem französischen Akzent wohl nicht... Der Patron betrachtete das und kam mir zu Hilfe. Der war dann besonders freundlich zu den Kunden. ‘Madame‚, flötete er oder eben: ‘Monsieur, den von Ihnen gewünschten Tonträger haben wir gegenwärtig leider nicht am Lager, doch gern bestellen wir für Sie.‚ Waren die dann gegangen, stellte er sich neben mich und sagte, ununterbrochen nickend: ‘Nicht wahr, nicht, gelle, mhm, tja...‚ Richtig melodiös, ni?!« Clemens Walter
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