: Wilson in Elegium
■ „Die Krankheit Tod“ von Marguerite Duras wurde am Samstag an der Berliner Schaubühne uraufgeführt: Auf fast leerer Bühne bewegen sich zwei schemenhafte Figuren, die leblos ihren Text sprechen
Der Schauspieler Peter Fitz hat etwas von Graf Dracula, von dessen vornehmer Blässe und auch sonst vorzüglichen Erscheinung, die mit einem langen Frackmantel und hochpolierten Schuhen ausgestattet ist. Aber nur ein einziges Mal fällt er aus der Rolle, die er gar nicht einnimmt, gibt sich den Anschein des Vampirs, der zubeißen möchte und schon mal lustvoll die Zunge schlecken läßt. Einmal darf er komisch sein. Dann nimmt er Abstand von seinem Vorhaben.
Liebgart Schwarz verkörpert keineswegs das frische junge Ding, das ihm Appetit machen könnte. Die grazile Figur in eine enge Tunika gehüllt, zieht sie eine meterlange Schleppe hinter sich her, tritt auf sie drauf, verwickelt sich gar in das Tuch. Die entblößte Halspartie und die Haare sind kalkweiß gepudert. Zwei schemenhafte Figuren, die leblos ihren Text sprechen und sich schleppend bewegen, die in dem choreographischen Arrangement ihrer Bewegungen zwar einander zugeordnet sind, sich aber kaum berühren. Die Bühne ist fast leer: auf dem Boden ein Handspiegel, das (Text-)Buch und ein wanderndes, weiß fluoreszierendes Rechteck, das Bett. Wilsons Bilder (wie bekannt) bilden den Hintergrund der kargen Szenerie. Ein Kammerspiel im dunkel ausgeschlagenen Bühnenraum, ein schwarzes Ritual, dessen ganz und gar elegischer Verlauf die Zuschauer ebenfalls in den Halbschlaf zwingt.
Eine Welt zwischen Leben und Tod, Halbwelt, Schattenwelt, Vorhölle, ein anonymer Ort zweier namenlos bleibender Personen, die sich vorher nicht gekannt haben und sich nie wieder sehen werden, die ihre Worte nicht aneinander adressieren, sondern übereinander von einem Dritten erfahren, einer Erzählerstimme, die von ihnen selber gesprochen wird. Eine mythische Grundkonstellation; ein Mann, eine Frau und eine flüchtige Liebesbegegnung, die erst im nachhinein als solche verstanden wird. Marguerite Duras schrieb den verschlossenen und kompliziert komponierten Text von nur 30 Seiten Länge im Jahr 1982, kurz bevor sie sich für eine Entziehungskur in die Klinik begeben mußte. Übersetzer Peter Handke hat den eigentlichen Titel La maladie de la mort (Die Krankheit des Todes) in Die Krankheit Tod abgewandelt. Eine gelungene Präzisierung. Eine feministische wie eine strukturalistische Lesart des Textes bieten sich an: der lieblose, aber auch der ungeliebte Mann, das Geld und die Macht; die Frau, ihr Körper und die Liebe, anwesend und abwesend, schwach und stark zugleich. Das Männliche, das eine, das das Weibliche, das andere, ausschließt; das ohne das Weibliche, andere nie ganz, nie eins ist. Und und und. Wilson, wie gehabt, interpretiert nicht. Kapriziert sich diesmal auf pures Sprechtheater, in dem jedes Wort geradezu magisch im Raum stehen müßte. Er läßt den Text beiläufig, unbeteiligt bis hin zur Unkenntlichkeit sprechen; es gibt keine dramatischen — und ganz selten komische Momente (und wenn, des Mannes).
Peter Fitz, der Mann, stopft sich Watte in die Ohren; die eingespielte Opernmusik wird laut. Kaum zieht er sie halb wieder heraus, wird sie wieder leiser und verstummt völlig, als er den Wattebausch ganz herauszieht. Wie um seiner eigenen Taubheit nachzuhorchen, jener eigentümlich lauten inneren Stille, die zu Die Krankheit Tod führen kann. Sabine Seifert
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