: Die Kulisse am Stadteingang
■ Wo das Stadtbild zu wünschen übrigläßt (6): Brandenburger Tor vor der Schleifung
Auf einem wunderbaren Gemälde aus dem Jahre 1929 mit dem Titel Brandenburger Tor gibt Ernst Ludwig Kirchner eine fast naive Ansicht des Platzes mit dem Stadttor wider, die bis dato partout nicht aus den Köpfen einiger unserer Politiker und Stadtplaner will: Von einem erhöhten Standpunkt blickt der Betrachter aus Richtung Tiergarten auf das Brandenburger Tor. Der Baukomplex erscheint als putziger räumlicher Durchlaß in die Stadtmitte. Der Eindruck einer dekorativen Attrappe wird verstärkt, weil Kirchner spielzeugartige Autokolonnen durch die engen Säulchen des Tores rasen läßt. Ein paar Passanten, die wie unscheinbare Strichmännchen wirken, stehen als Staffage daneben. Wie Püppchen irren sie auf einer Verkehrsinsel im Kreis, als wären sie durch die Fahrzeuge in Taumel versetzt worden.
Sämtliche Planungen, die sich mit der Zukunft des Brandenburger Tores, der Bebauung des Pariser Platzes und der Verkehrsführung beschäftigen, wiederholen diesen theatralischen Effekt. Schlimmer noch. Sie tun zugleich so, als stände das klassizistische Festtor, das Carl Gotthard Langhans von 1788 bis 1991 im Stil des Greek Revival errichtete, heute nur mehr im Wege. Ob eine enge oder weite Umfahrung des Tores oder gar die Durchfahrt für Busse, Taxen und Radler ausgeheckt wird: Der Verkehr erklärt die Passanten und das Tor selbst zur Staffage. Noch die einfachste Lösung vorzuschlagen, nämlich den Verkehr unumschränkt durch das Brandenburger Tor fahren zu lassen, traut sich bisher niemand. Die öffentliche — und denkmalschützerische — Prügel wäre doch zu heftig. Obwohl gerade eine Durchfahrt — heute eher ein Durchgang — dem Tor seine stadträumliche Funktion zurückgebe. Also bleibt man bei schlechten Kompromissen, in der Hoffnung, daß der Verkehr aus den geplanten unzähligen Tunnelein- und -ausfahrten das Brandenburger Tor von allein durchbreche.
Berlin ist Spitze bei der Abschleifung seiner barocken Stadtplätze: Nach dem Rondell im Süden und dem Oktogon am Leipziger Platz scheint nun das Karree vor dem Brandenburger Tor fällig. Im Stil der »kritischen Rekonstruktion« will der Senatsbaudirektor Hans Stimmann den Pariser Platz wieder quadratisch einfassen mit Hotels, Geschäften, Botschaften — und Wohnungen, sagt er. Das bedeutet Profile und Traufhöhen wie zu Zeiten des ollen Kaiser Wilhem. Jawoll!, möchte man ihm da zurufen. Das Tor allerdings möchte er »frei« stehen lassen, damit — ja, damit es endgültig zur Verkehrsinsel, zum nostalgischen Dekor, zur nutzlosen Chiffre verkommt? Eine solche Planung wird das Tor nicht nur endgültig zur Kulisse machen, sie weiß auch in Wirklichkeit nichts mit einem Stadtplatz am Eingang zum Zentrum anzufangen. Wenn das Ding so im Wege steht, bleibt eigentlich nur noch der Abriß: Die Quadriga kommt zu Lenin in die Müggelheide. Rolf R. Lautenschläger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen