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Polizei hätte Tod von Koreanerin verhindern können

■ Polizeibeamten unterliefen bei Verbrechensaufklärung gravierende Fehler/ Kyung-Lim Lee hätte nicht sterben müssen

Berlin. Was schon länger vermutet wurde, steht jetzt in einem Bericht der Kriminalpolizei schwarz auf weiß fest: Die koreanische Studentin Kyung-Lim Lee wäre möglicherweise nicht Opfer einer Sexualstraftat geworden oder könnte zumindest noch leben, wenn der Polizei bei der Bearbeitung des Falles nicht so entscheidende Fehler unterlaufen wären. Der Kripobericht, der erst jetzt bekannt wurde, ist von Polizeipräsident Schertz bereits im vergangenen Jahr in einem Schreiben an Innensenator Heckelmann bestätigt worden.

Die Studentin Kyung-Lim Lee war am 15. Oktober 1991 in einer Grünanlage nahe der kirchlichen Hochschule in Zehlendorf vergewaltigt und am Kopf schwer verletzt worden. Nach Angaben von Polizeisprecher Schultz wird als vermutlicher Tatzeitpunkt Mitternacht angenommen. Kyung-Lim Lee war sechs Stunden später in dem Park von einer Passantin gefunden worden. Sie lebte zu diesem Zeitpunkt noch, starb aber kurze Zeit später im Krankenhaus. In dem Obduktionsbericht wird davon ausgegangen, daß die schwerverletzte Studentin an »finaler Unterkühlung« gestorben ist.

Aus dem Kripobericht geht hervor, daß der Tat an Kyung-Lim Lee eine Serie von Fehlentscheidungen vorausgegangen ist. Die Studentin war in der Nacht des 15. Oktober bereits das dritte Opfer, daß von dem mutmaßlichen Sexualstraftäter Derrick A., Angehöriger der US-Army, in der Grünanlage neben der Hochschule überfallen worden war. Gegen 21.07 Uhr und 21.20 Uhr waren zwei andere Studentinnen angefallen worden, hatten aber entkommen können. Ein Kommilitone der beiden hatte gegen 21.29 Uhr die 110-Zentrale benachrichtigt, war aber von dem Beamten am Telefon barsch abgefertigt worden, das behandelnde Krankenhaus werde die Polizei schon informieren. Der Beamte fertigte weder einen Vermerk über den Anruf an, noch unterrichtete er den zuständigen Polizeiabschnitt 44. Somit wurde auch keine Funkstreife zum Tatort geschickt, die den Überfall auf Kyung vielleicht hätte verhindern können.

Aber das war nicht die einzige Fehlentscheidung in jener Nacht. Gegen 23.07 Uhr wurde die 110-Zentrale erneut benachrichtigt, diesmal von einer Funkstreife des Abschnitts 45, die im Krankenhaus die Aussagen der beiden Frauen aufgenommen hatte. Der zuständige Abschnitt 44 wurde wieder nicht informiert, dafür aber kurz nach Mitternacht der diensthabende Oberkommissar des Kripo-Lagedienstes. Statt Beamte zur Spurensicherung in den Park zu schicken — die Kyung möglicherweise gefunden hätten —, wies der Oberkommissar die Funkstreife lediglich an, zwei Anzeigen wegen Körperverletzung zu schreiben. Erst gegen 6.30 Uhr wurde die koreanische Studentin entdeckt.

Gegen die drei Polizeibeamten sowie den Oberkommissar wurden inzwischen ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen und Strafvereitelung im Amt sowie disziplinarische Vorermittlungen eingeleitet. Der Vorwurf, am Tode der Koreanerin mitschuldig zu sein, sollte aber auch die Verantwortlichen der US- Army treffen. Wie berichtet, hatte sich der amerikanische Soldat Derrick A. am 15. Oktober aus dem Stubenarrest in der McNair-Kaserne davonstehlen können, wo er wegen des Verdachts festgehalten worden war, im vergangenen Sommer vier Frauen und zwei Mädchen sexuell mißhandelt zu haben. Am 16. Oktober war er dorthin zurückgekehrt. plu

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