piwik no script img

Eine späte Begegnung mit dem Vater

■ Götz George besucht in der Nationalgalerie das Dix-Porträt seines Vaters

Ich hatte es mit den anderen verlagerten Dingen verloren geglaubt, bis vom Gastronom der alten »Schiller-Kantine« ein Hinweis kommt, daß zwei holzverkleidete Gemälde unten im Keller des Theaters stehen. Eines davon ist dieses von Otto Dix in den dreißiger Jahren in unserem Haus gemalte Porträt von George. In schwerem Ölzeug sitzt da ein alter Wikinger, kreatürlich und wild. Die dunklen, braunen Töne lassen nur den hellen Augen brennendes Leben und zwingen einen in ihren Blick. Es ist wie ein Geschenk, es wiederzuhaben. Ich stelle es an die Wand. Hocke mich davor. Ein Stück meines Mannes...«, schreibt Berta Drews in ihren Erinnerungen Heinrich George — Ein Schauspielerleben.

Nun hängt er an einer hohen weißen Wand, der alte Wikinger, immer noch kreatürlich und wild. »1932.5 Bildnis des Schauspielers Heinrich George«. Hängt da in der Nationalgalerie störrisch und breit zwischen der scharlachroten Tänzerin Anita Berber und dem Dichter Theodor Däubler. Und vor ihm? Nein, da hockt nicht mehr Berta Drews. Jetzt steht da Sohn Götz im Rampenlicht. Mit Nadelstreifen und Goldrandbrille geht er für die Fotografen in Pose. Der kreatürliche Wikinger, der sein Vater ist, hängt ihm im Nacken, stielt ihm die Show. Helle Augen brennenden Lebens zwingen immer noch jeden in seinen Bann. Dem Sohn mit den blauesten Augen der deutschen Filmgeschichte scheint das nicht ganz geheuer. Lieber stellt er sich ein paar Bilder weiter, um die Fragen der Journalisten zu beantworten. Als könne ihm der strafende Wikinger anderenfalls auch heute noch mit altvertrautem Jähzorn jedes aufmüpfige Wort aus dem Arsch prügeln. »An heftige Hiebe« könne er sich noch gut erinnern, gibt Götz George mit sicherem Abstand zum Vater zu. Wenn er vor dem Zubettgehen mal wieder »Meine Mutter ist doof!« gerufen habe — einfach so aus Übermut —, da habe der gewaltige Vater dann regelmäßig dem Junior derbe den Arsch versohlt.

So steht er Aug' in Aug' mit dem unerreichbaren Vorbild, der kleine George vor dem großen George. Ist er nicht selbst jetzt ein Großer? Ein Star? Ein Held? Aber der ewig junge Draufgänger, der keinen gefährlichen Stunt scheut, hier ist er klein, macht sich noch kleiner, duckt sich. Dieser »aufregende Mann in dieser aufregenden Zeit«, mit jener »Rundung als Künstler«, die der Junior in seinem Leben nicht mehr zu erreichen glaubt, und mit dem glanzvoll- großbürgerlichen Savoir Vivre, neben dem sich der kleine Götz »verhältnismäßig spießig« vorkommt — der ist ihm über.

Eine späte Begegnung mit dem Vater. Wie das wohl ist, wenn man seinen Namen der Lieblingsrolle des Vaters verdankt? Wenn man sich nur noch mit kindlicher Bewunderung an dieses Kreisrund ungebändigter Kraft erinnern kann, das selbst so große Namen wie Kokoschka, Dix oder Beckmann verehrten. Als der Vater starb, war der Sohn gerade mal acht Jahre alt. Da war keine Zeit mehr für pubertäres Machtgerangel, keine Chance mehr, das Wikingerbild geradezurücken. Erinnerungen, die in der Kindheit verharren.

»Nicht immer leicht sei es gewesen mit diesem überdimensionalen Vater an der Wand«, gibt er zu. Auch sei die Hängung des Bildes viel zu niedrig gewesen in der kleinen Wohnung, und überhaupt hingen diese brennenden Augen immer so wachend über dem Sofa. Da hat der Familienrat dann irgendwann beschlossen, das Bild zu verkaufen. »Man konnte es ja schließlich nicht einfach in den Keller tun!« versucht der Sohn einen Witz. Nein, ein Vater dieser Größenordnung läßt sich nicht so mir nichts, dir nichts in den Keller stellen. Außerdem waren die Nachkriegsjahre im vaterlosen Hause George nicht immer nur glanzvoll. Als Nazi-Kollaborateur beschimpft, war Heinrich George 1946 in russischer Internierung gestorben. Mutter Drews mußte sehen, wie sie sich und ihre zwei Jungen durchbrachte. Und der alte Dix war inzwischen ein bekannter und teurer Maler.

Einmal — in den fünfziger Jahren— besucht ihn Berta Drews noch mit den beiden Buben. Eher grantig und wenig gastfreundlich werden sie empfangen. Dem jungen Götz erschien der große Dix seinerzeit »ein bißchen wie ein kleiner mißmutiger Muselmann«. Heute sieht Götz George das natürlich anders, aber damals — da war dieser kleine griesgrämige Mensch im Malerkittel eben nicht gerade höflich gewesen und die Kriegsbilder fand der 14jährige »einfach zum Kotzen!«. »Meine Mutter war ein wenig enttäuscht, als wir wieder abfuhren. Weil man sich ja irgendwie auch schon anders gekannt hatte. Aber damals wollte Dix eben meinen Vater unbedingt malen und jetzt waren wir ihm wohl nur etwas lästig.«

Wehe dir, bärbeißiger Wikinger, der du dein gestrandetes Familienschiff so sträflich im Stich gelassen hast. Welcher Sohn kann das schon verzeihen? »Ein gewaltiger Vater« sei er gewesen, wiederholt der Sohn immer wieder und rudert dabei so heftig mit den Armen, als könne Geschwindigkeit die eigene fehlende Masse ersetzen. Sie sind beide ungefähr gleich groß, oder besser gleich klein: 1,72 Meter. Und doch paßt der kleine Götz in die Anzüge seines Vaters nicht rein, es fehle ihm dessen rundes Selbstwertgefühl und seine schauspielerische Extraklasse. Vor schwierigen Rollen schaut er sich deshalb immer wieder die alten Filme an. Den Postmeister, den Alexanderplatz, den Biberpelz. Schaut, wie der Alte das gemacht hat, will auch heute noch lernen und aufschauen zu dem, der für ihn »immer noch von allen Schauspielern der modernste« ist. Der Vater. Georg Heinrich Schulz, den sie George nannten.

Endlich haben die Fragen der Journalisten ein Ende, kann der Sohn seinem Vater Adieu sagen. Da stehen sie noch einmal dicht beieinander: Wikinger und Kommissar. Schulz & Schulz. Vater und Sohn. Dann gehen die Lichter aus, und es gibt wieder nur einen großen George. Der dreht schnell ab, als habe er Angst, alles könne noch einmal von vorne losgehen, und verschwindet zwischen den Aquarellen des kleinen Muselmanns. Heinrich, ihm graut's vor dir. Klaudia Brunst

Die Otto-Dix-Retrospektive in der Nationalgalerie kann noch bis Mitte Februar besucht werden — leider ohne Götz George.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen