: Gegen „Isidor“ und das verhaßte „System“
Der Kampf zwischen Bernhard Weiß und Joseph Goebbels ■ Von Peter Reichel
Der Kampf um Wählerstimmen wird nicht zuletzt mit rhetorischen Mitteln geführt und ist selbst ein Kampf um Wörter, Namen und Begriffe. Und der Kampf zwischen unterschiedlichen — oder gegensätzlichen — politischen Programmen und Ordnungsvorstellungen wird nicht selten als Kampf von politischen Akteuren ausgetragen. Kaum einer in der späten Weimarer Republik nutzte diese Erkenntnisse skrupelloser und virtuoser als Joseph Goebbels.
Zu einem geradezu exemplarischen Fall geriet der Kampf zwischen Goebbels und dem jüdischen Berliner Polizeivizepräsidenten Bernhard Weiß. Ein Kampf um den Schmähnamen Isidor, der jedoch zugleich auf das Weimarer „System“ zielte, ein Kampf, der mit Worten ausgetragen wurde, in den Zeitungen stattfand und auf politischen Versammlungen, im Reichstag und vor Gericht. Unablässig wurde Weiß seit dem Frühjahr 1927 im 'Angriff‘, Goebbels' Propaganda- und Kampfblatt, attackiert und vorgeführt. In den Isidor-Karikaturen von Hans Schweitzer („Mjölnir“) ebenso wie in den Rubriken Aus der Asphaltwüste und Vorsicht, Gummiknüppel!
Mal begann Goebbels seine Hetzartikel so: „Hochverehrter Herr Polizeivizepräsident Dr. Bernhard Weiß“, ein anderes Mal so: „Isidor: das ist kein Einzelmensch, keine Person im Sinne des Gesetzbuches. Isidor ist ein Typ, ein Geist, ein Gesicht, oder besser gesagt, eine Visage.“ Die unterschiedlichen Anredeformen und der ständige Wechsel des Vornamens hatten Methode. Der richtige Vorname wurde so oft benutzt wie der falsche. Erst dadurch ließ sich erreichen, „daß Bernhard als das Illegitime und Isidor als das eigentlich Zukommende empfunden“ wurde. Erst damit stand „Weiß nicht nur als Jude, sondern als täuschender Jude da“. Und darauf kam es Goebbels ja gerade an.
Die Differenzen zwischen Name, konkreter Person und politischer Ordnung sollten verschwimmen, die Weimarer Republik zur „Judenrepublik“ gemacht und diese schließlich in der real-fiktiven Gestalt des Isidor Weiß personifiziert werden. Der Mann interessiere ihn gar nicht, antwortete Goebbels, als ihm vorgehalten wurde, daß seine Agitation womöglich den Falschen treffe. Im Herbst 1929 bilanzierte er das Ergebnis seiner Hetzkampagne: „Wir bekämpfen auch Männer, aber in den Männern das System. Wir sprechen nicht, wie die Bürger, von einem korrupten Berlin oder vom Bolschewismus der Berliner Verwaltung. Nein! Wir sagen nur: Isidor Weiß! Das genügt!“
Die Nazis, das sollte sich nach 1933 deutlich zeigen, verfügten über ein umfangreiches Repertoire an symbolisch-expressiven, choreographischen und massenkommunikativen Mitteln zur Mobilisierung der Massen und zur Inszenierung ihrer Macht. Und sie waren in der Adaption und Radikalisierung dieser Mittel, die aus sehr unterschiedlichen politischen Traditionen und Lagern stammten, ebenso skrupellos wie erfolgreich. Vor allem Goebbels tat sich dabei hervor, ein ebenso zynischer wie gewiefter Opportunist, wendiger Rollenspieler und geschickter Regisseur, Prediger und Demagoge, versierter Reklametechniker und kalt berechnender Virtuose eines verhängnisvollen Verwirrspiels zwischen Realität und Fiktion.
Von den Kommunisten hatte Goebbels den Namen Isidor übernommen. Bei ihnen hatte er auch gelernt, so Goebbels-Biograph Heiber, „daß ein verhaßtes System am wirkungsvollsten in einem weithin sichtbaren und besonders exponierten Vertreter zu bekämpfen ist. Denn der Einzelne ist echter verwundbar und für das Publikum viel interessanter, weil anschaulicher als die abstrakte Sache.“
Und natürlich war Weiß verwundbar. Aber er wehrte sich, so schwierig das unter den gegebenen Umständen auch war. Es hagelte Strafanträge, Gerichtsvorlagen und Geldstrafen gegen Goebbels. Die Gerichte waren ständig mit dem Namenskampf beschäftigt. Aber die rechtsstaatliche Gegenwehr erwies sich für Weiß durchaus als zweifelhaft. Zum einen wegen der Rechtslastigkeit der Justiz und zum andern, weil Goebbels als Reichstagsmitglied den Schutz parlamentarischer Immunität genoß: „Ich bin ein IdI. Ein IdF“, höhnte er, „ein Inhaber der Immunität, ein Inhaber der Freifahrkarte“, und „darf einen mit Namen Max Fridolin und einen mit Namen Bernhard Isidor nennen, auch wenn er nicht so heißt, sondern nur so aussieht.“
Der Name als Stigma. Obwohl Isidor gar nicht hebräischer, sondern griechischer Herkunft ist, steht dieser Name doch für das antisemitische Bild des (Ost-)Juden schlechthin. Der Name Isidor kam vor allem bei den Juden aus den osteuropäischen Ländern vor. Für die, die ihn wegen seines Gleichklangs zu den hebräischen Namen Isaak, Israel und Itzig wählten, war er ein Ausdruck von Assimilation. Den Antisemiten galt das als bloße Täuschung. Bei der ständigen Diffamierung der jüdischen Minderheit spielte Isidor eine zentrale Rolle. Am Ende des Kaiserreichs symbolisierte dieser Name bereits kollektive Eigenschaften, unauslöschliche „Rassenmerkmale“ in der vermeintlich wissenschaftlich- objektiven Sicht des völkisch-sozialdarwinistischen Zeitgeistes. Sie standen in schroffem Gegensatz zu dem, was als „deutsch“ galt und „Deutschsein“ hieß. Isidor wurde zur Spottfigur, zur Karikatur des jüdischen Negativ-Typus schlechthin. Wer diesen Namen trug — oder ihn angehängt bekam — galt als feige und verschlagen, als schmutzig und schmierig.
Name als Stigma. Unter diesem Titel hat der Kölner Sprachwissenschaftler Dietz Bering bereits 1987 eine Studie über den alltäglichen Antisemitismus vor 1933 veröffentlicht. Ging es damals darum, den letztlich gescheiterten Prozeß der jüdischen Assimilation und Integration im Spiegel der Namensausgrenzung und Namensvermischung als strukturelles Problem darzustellen, geht es in seinem neuen Buch um einen spektakulären Fall aus dieser unsäglichen Geschichte, eben um den Namenskampf zwischen Goebbels und Weiß.
Während Goebbels im historischen Bewußtsein bis heute präsent blieb und neben Hitler als die interessanteste und schillerndste Figur aus der NS-Führung gilt, ist Weiß nahezu vergessen. Dabei verdient nicht nur sein beispielloser Kampf gegen Goebbels Interesse, sondern seine Lebensgeschichte überhaupt.
Daß ein Jude an die Spitze der Berliner Polizei gelangen konnte, in das Innerste des staatlichen Machtzentrums, war für viele seiner Zeitgenossen auch in den 20er Jahren ein unerhörter Vorgang. Und daß er sich dieser schwierigen Aufgabe dann gewachsen zeigte, Ansehen erwarb und Profil gewann, sich gar als „rigorose Kampfnatur“ ('Weltbühne‘) erwies, erst recht. Der ehemalige Amtsrichter, hochdekorierte Rittmeister und Weltkriegsteilnehmer war für politische Reformen nicht weniger aufgeschlossen als für kriminaltechnische Neuerungen. Er galt als unbestechlich und gleichermaßen distanziert gegenüber Militärs und Pazifisten, Reaktionären und Revolutionären, ob als Chef der „Politischen Polizei“, der Kripo oder schließlich als Polizeivizepräsident der brodelnden Reichshauptstadt.
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Weiß, der sich zum Judentum bekannte, für den „Centralverein“ tätig war und der liberalen DDP angehörte, stand von Anfang an tatkräftig für die Republik ein. Immer wieder machte er durch kämpferische Aktivitäten und spektakuläre Aktionen von sich reden. Er zögerte nicht, KPD-Abgeordnete im Preußischen Landtag festnehmen zu lassen (1923) oder NSDAP-Abgeordnete im Reichstag (1932). In den Augen der Berliner Bevölkerung war er jedenfalls der eigentliche Chef der Polizei, während der Leiter dieser Behörde, Karl Zürgiebel (SPD), in dessen Schatten blieb.
Als sich schließlich die Wege von Weiß und Goebbels kreuzten, war jener längst eine über Berlin hinaus bekannte, ja populäre Persönlichkeit. Redegewandt und mit Situationskomik begabt, reüssierte Weiß mit politisch akzentuierten Vorträgen, aber auch mit unterhaltsamen Kriminalsendungen im Rundfunk. Er entsprach wohl doch nicht jenem humorlos-bierernsten Beamtentypus, als den ihn seine Gegner, aber auch manche Goebbels-Biographen charakterisiert haben. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß Bering in seiner großen Sympathie für Weiß ins andere Extrem tendiert und zu einer gewissen Distanzlosigkeit ihm gegenüber neigt.
In der Person und in der Lebensgeschichte von Weiß schien sich der drängende Wunsch nach Emanzipation ohne Preisgabe der jüdischen, kulturell-religiösen Identität erfüllt zu haben. Doch unter dem übermächtigen Einfluß von Weltkriegsnationalismus und Antisemitismus mußte er ein Außenseiter bleiben. Trotz seines sozialen Aufstiegs, trotz aller erworbenen gesellschaftlichen Nobilitierung, trotz seines „preußischen“ Auftretens.
Auch in dem elenden Namenskampf trug letztlich nicht Weiß, sondern Goebbels den Sieg davon. „Der muß nun zur Strecke gebracht werden“, notierte er in seinem Tagebuch. Weiß ist „der Repräsentant des Systems. Wenn er fällt, dann ist auch das System nicht lange mehr zu halten“. Am 20. Juli 1932 wurde die rechtmäßige preußische Regierung Braun/Severing ab-, von Papen als Reichskommissar eingesetzt und die vollziehende Gewalt für Berlin auf den damaligen Generalleutnant von Rundstedt übertragen, der Weiß mitsamt der Berliner Polizeiführung aus dem Amt jagte. Weiß kehrte nach der März-Wahl 1933 noch einmal nach Berlin zurück und entkam einem SS- Kommando nur mit letzter Not — ins damals noch rettende Prag. Ein dramatischer Fall, und ein exemplarischer zudem. Er liegt nun in einer aufschlußreichen Fallstudie quellenkundlich aufbereitet vor, einer Fallstudie, die zumindest in den biographischen Ausführungen über Weiß darstellerisches Profil gewinnt, aber in der Vermittlung dieses Namenskampfes mit der schrittweisen Radikalisierung von Rassismus und Antisemitismus manches schuldig bleibt. So steht der „Fall Isidor“ ziemlich isoliert da, zumal Bering davon absieht, sein Fallbeispiel in die Diskurse der politischen Massenkommunikation und Symbolik einzuordnen oder mit ihren Kategorien zu deuten. Nachteilig wirkt sich m.E. auch der teilweise recht prätentiöse Sprachstil, der fachwissenschaftliche Jargon und didaktische Gestus des Verfassers aus. Es entsteht insgesamt ein fragwürdiges Mißverhältnis von sprachlicher Form, Methode, Materialaufbereitung und Thema.
Dietz Bering: Kampf um Namen · Bernhard Weiß gegen Joseph Goebbels . Klett-Cotta Verlag, 527 Seiten, geb., 68 DM
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