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Freie Fahrt für 40-Tonner

■ Ein von der EG initiiertes Tunnelprojekt für den Schwerlastverkehr bringt folgenschwere Einschnitte in das noch halbwegs intakte Pyrenäental Vallee d Aspe. Der Widerstand vor Ort hat kaum Chancen.

Ein von der EG initiiertes Tunnelprojekt

für den Schwerlastverkehr bringt folgenschwere Einschnitte in das noch halbwegs intakte Pyrenäental Vallée d'Aspe. Der Widerstand vor Ort hat kaum Chancen.

VONROGERRÜDELER

Süffisant kommentierte „Vivant 64“, was Umweltminister Brice Lalonde und sein Kollege aus dem Verkehrsressort, Paul Quilès, als Sieg der Vernunft, gar als Versöhnung von Ökonomie und Ökologie feierten: „Alle sind jetzt einverstanden: Die Zufahrt zum Somport-Tunnel wird um 35 Meter verlegt und liegt damit außerhalb der Nationalparkgrenzen.

Was den Umweltschutz angeht, so ist die Differenz zwischen der endgültigen Lösung und der vorhergehenden, die 3.000 Quadratmeter von 45 Millionen Quadratmetern des Parc national des Pyrénées betroffen hätte, rein ästhetischer Natur: Der Tunneleingang wird nicht mehr in die Bergwände eingefügt.“

Was sich wie eine billige Politposse anhört, war die Freigabe eines gigantischen Verkehrsprojekts, von dem hierzulande allenfalls beiläufig Notiz genommen wird. In diesem Frühjahr haben die Regierungen in Paris und Madrid beschlossen, unter dem Col du Somport, einem Paß, der das französische Départment Béarn mit der spanischen Provinz Aragon verbindet, einen über 8,6 Kilometer langen Straßentunnel zu bauen. Auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so schlecht: der Durchgangsverkehr wird aus dem engen Tal unter die Erde verlegt. Lärm, Abgase und Verkehrsunfälle würden so verringert und damit die schädlichen Auswirkungen auf die artenreiche und seltene Tier- und Pflanzenwelt des Nationalparks, durch den die Paßstraße führt, entscheidend eingeschränkt. In diese Richtung argumentieren viele der BefürworterInnen des Tunnelprojekts. Allerdings: Der Umweltschutz stand bei der Untertunnelung des Col du Somport wohl kaum Pate. Das Projekt, von den EG-VerkehrsplanerInnen in Brüssel entworfen, ist nämlich eigens auf den internationalen Schwerlastverkehr ausgelegt. Es soll ab 1995 auch den 40-Tonnern die Durchquerung der Pyrenäen ermöglichen und damit ohne Umweg die zentralspanische Region an Südwestfrankreich anschließen. Bislang donnert der Transitverkehr vorwiegend über die Autobahnverbindung am Atlantik, weil der direkte Weg auf der schmalen und windungsreichen Paßstraße für die Schwerlaster so gut wie nicht möglich ist.

Seit dem Beitritt Spaniens zur EG hat der Handel zwischen der iberischen Halbinsel und den europäischen Partnern Jahr für Jahr rapide zugenommen. Der damit einhergehenden enormen Steigerung des Transportaufkommens, das über die Straßen der Pyrenäenregionen abgewickelt wird, stellen sich die verkehrsverliebten EG-Bürokraten wie vor 20 Jahren. Unverdrossen setzen sie weiter auf den Ausbau eines europäisch dimensionierten Transitnetzes, um im künftigen Binnenmarkt die errechneten Waren- und Güterströme noch schneller und direkter, und damit billiger, umschlagen zu können.

Umweltpolitische Alternativen nicht gefragt

Dabei böte gerade der Somport-Tunnel eine Gelegenheit, über verkehrspolitische Alternativen nicht immer nur bei feierlichen Anlässen zu schwadronieren. Die Verlagerung des Transportaufkommens weg von der Straße auf die Schiene müßte hier nämlich gar nicht bei null anfangen. Es existiert noch die Trassenführung einer Eisenbahnlinie, die 1928 zur Verbindung von Paris und Madrid gebaut worden ist. Der Zugverkehr ist auf französischer Seite seit einiger Zeit eingestellt, in Spanien aber immer noch bis zum Ort Canfranc kurz vor dem Paßanstieg in Betrieb. Aber selbst dieser noch relativ faule verkehrspolitische Kompromiß zwischen dem Ausbau — statt der Vermeidung! — des internationalen Transits und seiner umweltverträglichen Bewältigung hat in den Brüsseler Konzepten keinen Platz.

In der ganzen Debatte wird das Problem ohnehin auf den Tunnel und dessen Folgen für BewohnerInnen und Naturschutzregion reduziert. Dabei ist jetzt schon ein Vorgeschmack der nachhaltigen Veränderungen zu erleben, die das Vallée d'Aspe in Zukunft prägen werden. Lärm, Dreck und Abgase der Baufahrzeuge, die durch die alten eng gebauten Bergdörfer zum Bauplatz des Tunneleingangs bei den Forges d'Abel (einer alten Eisenmine aus dem 19.Jahrhundert) brettern, lassen die Szenarien erahnen, wenn der Tunnel erst einmal fertig und für den LKW- Transit freigegeben ist.

Für die Bedürfnisse der Schwerlaster

Damit dieser schnell und reibungslos die als „Hindernis“ betrachtete Gebirgswelt der Pyrenäen durchqueren kann, müssen auch die Zufahrtsstraßen zum Tunnel entsprechend ausgebaut werden. Geplant ist, die RN134 in der Vorgebirgsregion bis Asasp zu einer vierspurigen Autobahn auszubauen. Die Abschnitte, die durch das Gebirgstal führen, sollen beträchtlich erweitert werden. Mit der Straßenverbreiterung, der Beseitigung von Engpässen in Ortsdurchfahrten, der Sprengung von Felsen zur Begradigung der kurvenreichen Strecke etc. werden natürliche Talführung und historisch gewachsene Infrastruktur den Bedürfnissen der Schwerlaster angepaßt.

Gerade aber in der individuellen Ausprägung dieses Pyrenäentales liegt der Reiz dieser Region. Die natürliche Einschließung des Tales durch die Gebirgsmassive des Cirque de Lescun und des Pic du Midi d'Ossau hat dessen besondere Entwicklung und Eigenheit relativ lange bewahren können.

Daß mit dem Somport-Tunnel die „Schonfrist“ für das Vallée d‘Aspe abrupt zu Ende geht, befürchten die Gegner des Projekts, die aus den verschiedensten politischen Zusammenhängen kommen. Sie haben sich mittlerweile zu einer Bürgerinitiative „Koordination für den aktiven Schutz des Vallée d'Aspe“ zusammengeschlossen. Das Zentrum der „Koordination“ wurde im alten Bahnhofsgebäude von Eygun eingerichtet und „La goutte d'eau“ getauft. „Der Wassertropfen“ dürfte Weltanschauung und das Konzept des Widerstands symbolisieren: Steter Tropfen höhlt den Stein! Mit Aufklärungsaktionen über die ökologischen Auswirkungen des Tunnelprojekts, der Anrufung der Gerichte, bis hin zu Blockaden der Baufahrzeuge wird versucht, den immer weiter fortschreitenden Bau doch noch zu verhindern.

Abqualifizierter Widerstand

Daß das gelingen könnte, scheint aber derzeit mehr denn je fraglich. Denn mittlerweile gibt es nicht nur ein Gerichtsurteil, in dem die allgemeine Nützlichkeit des Tunnels anerkannt wird. Auch Umweltminister Lalonde hat seinen ursprünglichen Rückzieher vom Tunnelprojekt umgehend widerrufen, nachdem daraus eine Affäre auf höchster Staatsebene wurde. Seitdem verkauft er den eingangs erwähnten Beschluß als großartigen Erfolg für die Sache des Nationalparks.

Seit einiger Zeit nun wird die allgemeine Stimmungslage im Tal zusehends gereizter. Bislang schon sorgten die regelmäßigen Auftritte der französischen Gendarmerie, Veranstaltungsverbote durch die Gemeinde und eine mehr oder weniger totschweigende Berichterstattung der Presse für die Kleinhaltung der Proteste. In letzter Zeit kommt auch noch eine feindselige Haltung der Talbewohner gegen die „militants écologistes“ hinzu.Trotz mancher Skepsis überwiegt bei der Mehrzahl der Bevölkerung die grundsätzliche Befürwortung des Tunnelbaus. Von seiner Drehscheibenfunktion im europaweiten Transitverkehr wird die Chance erhofft, daß der ökonomische Aufschwung im Tal Einzug hält.

Diese Hoffnung verdeutlicht ein Dilemma, in dem der Umweltschutz regelmäßig auf der Strecke bleibt. Um nicht zu einem der vielen Randgebiete in der EG zu werden, wird mit allen Mitteln versucht, die regionale wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Mit dem Somport-Tunnel, der der Region eine „strategische Position“ im Handel zwischen Nord- und Südeuropa verschaffen soll, sind aber gleichzeitig gravierende Auswirkungen auf die Umwelt verbunden, durch die Lebensqualität und Attraktivität dieser Pyrenäenregion leiden. Ein Konflikt, bei dem auch im Vallée d'Aspe wieder einmal die „ökonomische Vernunft“ zu obsiegen scheint.

Während der Somport-Tunnel keinen der offiziellen Anwälte des Pyrenäen-Naturparks bedenklich stimmt, hat eine kürzliche Entscheidung des Europarats um so mehr für Aufregung gesorgt. Darin wird dem „Parc National des Pyrénées Occidentales“ das Diplom eines „Naturschutzparks“ aberkannt. Die Begründung der Ratsmitglieder: In dieser Region werde zuwenig für die Erhaltung der geschützten Tier- und Pflanzenarten getan.

Werbetrommel für JoJos und sonstige Bären

Seitdem fürchten Nationalparkverwaltung, Touristenämter und Umweltminister Laonde um das Image des Vallée d'Aspe. Anstatt aber ein überzeugendes Gesamtkonzept gegen die Zerstörung von Natur und Landschaft vorzulegen, mühen sich alle um die Rettung eines Symbols: des Pyrenäen-Braunbären. Während der Umweltminister der Öffentlichkeit verkündet, das „Schicksal“ des „l'ours“ zum Dreh- und Angelpunkt seiner Umweltpolitik zu machen, ergehen sich die Verantwortlichen des Nationalparks in endlosen Debatten, wie die Werbetrommel für die letzten Exemplare der Bären gerührt werden kann. Und der Jägerverband kontert mit seiner Erfahrung: von den 35 Braunbären, die vor Jahren einmal in der Region gezählt worden sind, ward seitdem keiner mehr gesehen!

Zu diesen bisweilen schon absurden Beiträgen zum Thema Umweltschutz gesellt sich dann noch ein von Plüschbären, Aufklebern und Sammelbüchsen begleiteter Rummel um einen garantiert echten Bären namens JoJo. 1971 in den Bergen des Vallée d'Aspe gefunden, wurde er von der Gemeinde Borce als „Findelkind“ adoptiert und in eine Käfiganlage gesteckt. Als lebendiges Ausstellungsstück soll JoJo bei den zehn- bis fünfzehntausend Besuchern, die jährlich in den Ort pilgern, um ihn zu besichtigen, das Bewußtsein für das Umweltproblem „sensibilisieren“!

Mit dem Pseudoengagement um einen touristischen Werbeartikel mag vielleicht dem angeschlagenen Ruf des Vallée d‘Aspe entgegengewirkt werden — seine Zukunft als europäische Transitstrecke für 40-Tonner wird diesem Pyrenäental aber leider nicht mehr erspart bleiben.

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