piwik no script img

IRA-Bombe im Herzen Londons

Anschlag im Regierungsviertel/ Die Umgebung wurde nach Warnung vor der Explosion geräumt/ Premier Major verweist auf die Fortsetzung der Gespräche zwischen den nordirischen Parteien  ■ Von Ralf Sotscheck

London (taz) — Die Irisch-Republikanische Armee (IRA) hat gestern erneut in London zugeschlagen. Um kurz nach neun Uhr morgens explodierte im Regierungsviertel Whitehall im Zentrum der englischen Hauptstadt eine Bombe, die in einem Aktenkoffer versteckt war. Es entstand lediglich Sachschaden, da die Organisation eine halbe Stunde zuvor bei der Londoner Redaktion des US-amerikanischen Fernsehsenders CBS eine Warnung durchgegeben hatte. Der Anrufer hatte dabei ein mit der Polizei vereinbartes IRA-Codewort benutzt. Die anliegenden Gebäude, darunter das Parteibüro der Liberalen Demokraten, wurden daraufhin geräumt und die Gegend weiträumig abgesperrt. Der Anschlag löste abermals ein Verkehrschaos aus und legte London bis in den Nachmittag lahm. Offenbar verfolgt die IRA die Taktik, mit wenig Aufwand und möglichst geringem Risiko maximale Wirkung zu erzielen. Bereits im Dezember hatte die Organisation durch einen kleinen Sprengsatz in der Nähe des Bahnhofs Clapham Junction sowie einen Brandanschlag auf einen U-Bahnhof den Verkehr in London zweimal zum Erliegen gebracht und dem Einzelhandel das angesichts der tiefen Rezession dringend benötigte Weihnachtsgeschäft verdorben. Der Terrorismus-Experte Frank Benchley sagte, eine IRA-Einheit bestehe meist aus drei Männern und einer Frau. Normalerweise verfüge die IRA in England über eine aktive Einheit und eine zweite, die sich auf ihren Einsatz vorbereite. Die Vorbereitungszeit dauert bis zu einem Jahr. Zur Zeit operierten laut Benchley jedoch zwei Zellen in England. Die Explosion ereignete sich gestern nur 300 Meter vom Amtssitz des Premierministers Major entfernt. Von derselben Stelle hatte die IRA im vergangenen Februar einen Mörserangriff unternommen, dem das damalige Golfkriegskabinett nur knapp entgangen war. Diesmal hatte Major das Gebäude kurz zuvor verlassen. Er sagte später: „Die Terroristen sollten inzwischen gelernt haben, daß sie weder in London noch in Belfast oder anderswo durch ihre Bomben die Menschen von ihren normalen Aktivitäten abbringen können.“ Major betonte, der Anschlag illustriere die Bedeutung von Gesprächen zwischen den verschiedenen nordirischen Parteien, um zu einer politischen Lösung des Nordirland-Konflikts zu kommen. Die Mehrparteiengespräche waren im vergangenen Sommer nach 15monatigen Einzelverhandlungen gescheitert. Der britische Nordirlandminister Brooke bemüht sich unterdessen, die Gespräche wieder in Gang zu bringen. Sowohl die katholisch-republikanischen als auch die protestantisch-loyalistischen Paramilitärs und ihre legalen Parteien bleiben davon jedoch weiterhin ausgeschlossen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen