: Glücksgerädert am Eßtisch hocken
■ Die Game-Show für daheim: Denn das Leben ist ein Quiz, und wir raten, raten, raten
Manchmal ist es zum Haare ausraufen! Auf dem Bildschirm sucht die KandidatIn verzweifelt nach der richtigen Antwort: Er oder sie findet sie nicht, aber Sie zu Hause am Bildschirm — Sie haben schnell geschaltet und kennen die Antwort längst! Nun mal Hand aufs Herz. Wem ist das noch nicht so gegangen? Wer hat sich noch nicht gewünscht, jetzt an der Stelle der Quiz-KandidatIn zu sein? Also, nichts mit Bingo! Der Preis wird kalt! Oder hätten Sie's gewußt?
Natürlich! Mit dem Entstehen von Privatsendern schwappten sie so richtig heftig nach Deutschland, die Game-Shows. Billig zu produzieren und mit treuem Stammpublikum — sprich konsequent hohen Einschaltquoten — wurden sie auch in Deutschland zu TV-Rennern.
Da konnten andere nicht abseits stehen. Die Gesellschaftsspielbranche — in den letzten Jahren durch permanente Steigerungsraten zwischen zehn und zwanzig Prozent von den Spielfans verwöhnt — befindet sich ständig auf der Suche nach neuen Spielideen und produziert doch fast immer nur das Alte. Durchschnittlich zweihundert Neuerscheinungen pro Jahr wollen auf den Markt geworfen sein! Und schon war es um die Game-Shows geschehen. Der Preis ist heiß, Bingo, Glücksrad und Riskant wurden möglichst originalgetreu aufs Spielbrett gebannt.
Das erspart den Verlagen den größten Teil, das sonst so schwierig zu vermittelnde Regelwerk. Selbst Die goldene Eins, die ARD-Fernsehlotterie, blieb nicht verschont. Statt von der sonst üblichen allweihnachtlichen Schallplatte, wurden dabei fünf Mark vom Preis des Spieles für die „Stiftung Deutsches Hilfswerk“ abgezwackt. Das neue Bibelquiz von den Privaten ist allerdings noch nicht mit von der Partie. Noch nicht.
Alle diese Spiele sind genauso langweilig oder interessant wie ihre Vorlagen im Fernsehen. Es ergeben sich keine neuen Qualitäten. Doch die Verlage haben eben andere Sorgen. Neue SpielerInnen braucht die Republik: Stagniert doch die Zahl der Erwachsenen, die überhaupt noch spielen. Bingo! Oder auch: Riskant.
Der Erwachsene als Objekt spielverlegerischer Begierde wird immer stärker ins Marktkalkül der großen Verlage wie „Ravensburger“ oder „Jumbo“ einbezogen. Der Multi- User ist angesagt. Das im Fernsehen Geschaute soll am Küchentisch oder am Personalcomputer nachgespielt und so noch authentischer erlebt werden.
Allerdings fehlt dabei das Allerwichtigste, der Anreiz der großen Preise. Da kann man das Glücksrad drehen, soviel man will. Da können Schleuderpreise vergeben werden, in der Hoffnung, daß der Ehemann doch der bessere Einkäufer ist. Bingo! Geh aufs Ganze! Im Grunde ist es der Versuch der Verlage, durch die Übernahme fernsehgerechter Spiele auf das Brett Leute vom Fernseher wegzulocken und für die eigene Branche zu gewinnen. Ein deshalb löblicher Kampf um die Ausweitung des Marktes? Die Spiele- Entwickler von „F.X. Schmid“ — nach den „Ravensburgern“ der zweitgrößte bundesdeutsche Spielehersteller — wollen dagegen den umgekehrten Weg gehen. Es sollen nicht einfach Plagiate aufs Spielbrett gebracht werden, nein, man arbeitet an Spielen, die, wenn sie als solche erfolgreich sind, zu TV-Shows werden sollen.
Wenn das so weitergeht, bekommen dann in ferner oder auch naher Zukunft die Bewohner von Universitätsstädten den ganz großen Knüller geboten. Dann wird man sich bei den dortigen studentischen Arbeitsvermittlungen für mäßige Gebühr Doppelgänger von Showmastern wie Ex- Eisprinz Hans-Jürgen Bäumler oder Preis ist heiß-Matador Harry Wijnvoord ausleihen können. Fachleute, die mit den jeweiligen Spielen vertraut gemacht haben, Animateure, mit deren Hilfe die Studio-Atmosphäre originalgetreu in die gute Stube geholt werden kann. Bingo! Peter Huth
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