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Autonomie im Tandem

■ Zwei Schlagworte, die auf einer Tagung in Bozen/Bolzano verknüpft wurden. Was Sprachen lernen mit Selbstbestimmung zu tun hat.

Zwei Schlagworte, die auf einer Tagung in Bozen/Bolzano verknüpft wurden.

Was Sprachen lernen mit Selbstbestimmung zu tun hat.

VONCHRISTIANEHAUCHUNDREINHARDKUNTZKE

Fangen wir mit A an, A wie Autonomie. Fügen wir B wie Berge hinzu, und schon landen wir mittels Schlagwort und Klischee in Südtirol. Berge bilden hier das touristische Potential und die räumlich-geographische Bedingung für die historische Entwicklung der verschiedenen Lebensweisen und Sprachkulturen. Autonomie ist seit Jahrzehnten ein gebräuchliches Wort unter den Ansässigen. Die autonome Provinz Bozen/Südtirol, Provincia autonoma Bolzano/Alto Adige, ist mit besonderen Selbstbestimmungsrechten innerhalb der Region, die sie mit der ebenfalls autonomen Provinz Trentino gemeinsam bildet, und innerhalb des italienischen Staates ausgestattet.

Autonomie steht in Südtirol für die Gleichberechtigung der drei Hauptsprachgruppen, der ladinisch- rätoromanischen, der italienischen und der deutschen. Autonomie drückt sich aus in der gesetzlich garantierten Zwei- und Dreisprachigkeit sowie in der proportionalen Verteilung der Stellen im öffentlichen Dienst, entsprechend der Größe der Sprachgruppen. Autonomie ist Synonym für ethnisch getrennte Schul- und Bildungssysteme, für gemeinsame, aber auch streng separierte Sprachräume im öffentlichen Leben. Autonomie steht auch für eine lange Geschichte mit den gern verdrängten Kapiteln wie Faschismus und Nationalsozialismus, steht für Verbot der Muttersprache und verordnete Zwangssprache. Das Thema „Selbstbestimmung“ ist in Südtirol ein scheinbar nie endender Konfliktstoff und findet seine Entsprechung im konsequenten Nebeneinander, gar Gegeneinander der Kulturgruppen. Autonomie steht aber auch für ein durchaus profitables Miteinander der wirtschaftlichen Art.

In diesem Sinne war das Wort „Autonomie/Autonomia“, als ein Wort mit italienischer und deutscher Endung, auf Plakaten in der Provinzhauptstadt Bozen/Bolzano zu finden. Weit unten auf den Aushängen stand „Tandem“.

Nehmen wir nun T wie Tandem und verlassen für einige Zeilen den Ort des Geschehens, um wieder zurückzukehren. Tandem, bekannt als Fahrrad, auf dem zwei Personen mit gleichem Ziel fahren können, ist auch der Name eines Vereines, eines europaweiten Netzes gleichartiger Initiativen und der Name einer Methode. Nein — keine Fahrräder. Es handelt sich in unserem Fall um Sprache und Lernen.

Pate stand die Einsicht und die Erfahrung, daß die notwendige Sprachfähigkeit im Zeitalter des Tourismus, des gewollten und ungewollten multikulturellen Lebens einer neuen Art des Lehrens und Lernens bedarf. Es fing mit der Vermittlung von Sprachpartnerschaften, den „autonomen Tandems“, an, setzte sich mit der Entwicklung kommunikativer Unterrichtsgestaltung fort.

Heute kann ich zum Beispiel über „Tandem-Berlin e.V.“ zur „Escuela International Tandem“ nach Madrid kommen und dort bei einem Grundkurs für Spanisch mitmachen, Tür an Tür mit Deutschlernenden. Habe ich ausreichende Grundkenntnisse, vermittelt mir Tandem einen Spanisch sprechenden Partner oder eine Partnerin, der oder die Deutsch sprechen und lernen möchte. Wir beide bilden ein „autonomes Tandem“. Wir sprechen für eine Zeitspanne die eine und für den gleichen Zeitraum die andere Sprache. Wir finden gemeinsame Themen und gemeinsame Anlässe, um uns, unsere Sprachen und unsere Kulturen kennenzulernen. Wir sind Lernende und Lehrende zugleich. Irgendwann brauchen wir den Tandem-Verein, der uns über die herkömmlichen Rollen und über die eigenen Grenzen hinweggeholfen hat, nicht mehr. Wir sind wirklich autonom geworden.

A wie Autonomie, und wir kehren zurück und stehen wieder vor jenem Plakat in Bozen, auf dem „Autonomie/Autonomia“ und „Tandem“ steht. Neben der Assoziation „Fahrrad“ und dem Wissen über Tandem als Institution und Lernprinzip erinnert Tandem in Südtirol an eine linke Bewegung der siebziger und achtziger Jahre, aus der eine Wochenzeitung gleichen Namens entstand. Unabhängig und mehrsprachig versuchte das selbstverwaltete Zeitungsprojekt im konservativ-national dominierten Südtirol/Alto Adige eine kritische Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Ein Überrest davon heißt heute „Omnibus“ und ist die Parteizeitung der Lista alternativa/i verdi — Alternative Liste/Die Grünen.

Ein anderer Teil jener Bewegung ging nicht in die offizielle Politik, sondern findet sich als „Alpha&Beta“ auf besagtem Plakat wieder.

Die Initiative „Alpha&Beta“ warb auf diesem Plakat gemeinsam mit Tandem für die „Internationalen Tandem-Tage“, deren Motto heuer die „Autonomie/Autonomia“ war. Bei der Tagung ging es um das Lernen von Sprachen. Was ist beim Lernen autonomer Prozeß? Wie wird dieser Prozeß angeregt und wie trägt das Lernen von Sprachen zur Autonomie bei? Rund 150 lehrende, forschende und interessierte Menschen aus Südtirol, aus Italien und anderen Ländern Europas begegneten sich während dieser Tage im Tandem- Prinzip.

Alpha&Beta in Bozen sieht seine Aufgabe im Bereich der Weiterbildung und Kultur mit dem Schwerpunkt „Sprache“. Sprachkurse zur Förderung der Zweisprachigkeit, Fremdsprachenausbildung, Austauschprogramme, Sprachreisen und die Lehrerfortbildung machen die praktische Arbeit der Genossenschaft aus. Alpha&Beta organisiert sich interkulturell und bietet mit seiner Arbeit neue Begegnungsmöglichkeiten.

Zwischen eingefahrenen Gleisen und festgefügten Fronten kommt ein Ball ins Rollen. Autonomie steht nun auch für Fähigkeiten und Kompetenzen, für Grenzüberschreitungen und neue Wege, die es mit dem Tandem zu befahren gilt.

Tandem Berlin e.V., Ahornstraße 12a, 1000 Berlin 41

Alpha&Beta, Obstmarkt 45,

39100 Bozen/Bolzano:

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