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Schafgeborene

Peking (dpa) — Ein so erfolgreiches Jahr hatten Chinas strenge Geburten-Kontrolleure lange nicht. Doch es war nicht ihr Verdienst. Daß die Chinesen weniger Nachwuchs in die Welt setzten, lag allein am Schaf und seinem üblen Ruf. „Shuyang mingku“ — „Im Tierzeichen des Schafs Geborene werden ein bitteres Schicksal haben.“ Dieser noch tiefverwurzelte Volksglaube jagte vielen Paaren Angst ein. Aus Umfragen bei Krankenhäusern und bei Geburtenplanbüros ist zu schließen: Im auslaufenden Jahr des Schafes wurden Millionen Babys weniger geboren als in den Jahren davor und als eigentlich vorgesehen.

Freude darüber mag bei den Geburtenplanern, deren Soll in den Städten die Ein-Kind-Familie ist, freilich nicht aufkommen. Das Schaf-Jahr wird nach dem Mondkalender im Zwölfjahreszyklus am 4. Februar nämlich durch das günstige und glückverheißende Jahr des Affen abgelöst. Da wird Aufgeschobenes nachgeholt werden, und im mit 1,16 Milliarden Menschen volkreichsten Land der Welt dürfte ein neuer Geburten-Rekord verzeichnet werden.

Wie etwa im Pekinger Chaoyang- Krankenhaus wurde in zahlreichen befragten Kliniken im Schaf-Jahr gegenüber dem Vorjahr, dem „normalen“ Jahr des Pferdes, eine fast um die Hälfte verringerte Zahl an Geburten registriert. Ärztin Yu Lijun vom Volkskrankenhaus Nr.1 in der Stadt Mudanjiang im äußersten Nordosten Chinas: „Wir haben nur knapp über 400 Entbindungen gehabt, sonst waren es etwa doppelt soviel. Viele Paare denken, daß im Schaf-Jahr geborene Kinder nur Unheil bringen werden.“

Einen ähnlich drastischen Geburten-Rückgang gab es in einer Pekinger Kokerei, wo die für die Geburtenkontrolle zuständige Frau Zheng erklärt: „Sehr viele Paare bei uns haben ihre Geburten auf später verschoben. Im Jahr des Affen werden wir nun sehr viele Geburten bekommen, etwa dreimal soviel wie im vergangenen Jahr.“

Kurz vor Beginn des Schaf-Jahres hatten Entbindungs-Stationen noch Hochbetrieb gemeldet. Das Kind sollte unbedingt vor dem Neujahrstag auf die Welt kommen — Kaiserschnitte erreichten Höchstmarken. Im Schaf-Jahr hatten die Ärzte dann weniger mit Geburten, aber um so mehr mit Abtreibungen zu tun. In China wird bei Abtreibungen sowieso nicht lange gefragt: Je weniger Kinder geboren werden, desto besser für die Statistik.

Es sind vor allem Mädchen, die im Schaf-Jahr vermieden werden sollten, weil sie nur Unglück und Tod über ihre Familien bringen würden. Inbesondere auf dem Land leben solche alten Vorstellungen weiter. Genaue Zahlen, wie viele Babys deswegen dort nicht nur abgetrieben, sondern auch nach der Geburt getötet oder ausgesetzt wurden, wird es nie geben. Sicher ist nur: Fast immer werden sie weiblichen Geschlechts gewesen sein.

Selbst in weltoffenen Städten wie Peking oder Schanghai lassen sich junge Paare im Computer-Zeitalter noch von ihren Eltern oder Großeltern beeinflussen. „Bei neun von zehn Schaf-Geborenen wird es keine vollständige Familie geben“; mit solchen Deutungen wurde ihnen Nachwuchs ausgeredet. Ein junger Ingenieur: „Es mag Humbug sein, aber dennoch ist ein schlechtes Gefühl da. Wenn ich schon nur ein Kind haben darf, dann soll wenigstens alles perfekt sein, es darf dann nicht ausgerechnet im Schaf-Jahr zur Welt kommen.“ Edgar Bauer

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