: »Mit Gewalt erreichst du 'ne Menge«
■ Dokumentarfilm über eine Gruppe Marzahner Jugendlicher, die man auch Rechtsradikale nennen könnte/ Kaum mehr als kindlich platte Überzeugungen/ Die Kurzlebigkeit von Jugendgruppen
Marzahn. Welcher Jugendliche wurde eigentlich noch nicht befragt? Eine Umfrage jagt die andere. Die Ergebnisse scheinen alarmierend: 80 Prozent aller Jugendlichen sind mit den Politikern unzufrieden (Jugendbericht der Bundesregierung), über ein Drittel der Ostberliner zwischen 16 und 25 verfügen über »bedenkliche rechtsradikale Einstellungsmomente« (Projektgemeinschaft Sozialforschung). Insbesondere rechtsradikale Jugendliche (die sich nur zum Teil selber so nennen), sorgen immer wieder für helle Aufregung. Wenn man sich die Kids genauer anguckt, bleibt oft nur das große Kopfschütteln. Die Argumente sind unpolitisch und platt, die Grundstimmung mies, die Ziellosigkeit groß und die Langeweile noch viel größer. Fast kindlich bringen sie ihre Überzeugungen dar, und daß sie »eigentlich von Gewalt auch nichts halten, aber irgendwie echt grundsätzlich was gegen Ausländer haben, jedenfalls gegen die meisten«.
Daß vermeintlicher »jugendlicher Rechtsradikalismus« oft nichts mit verfestigten politischen Einstellungen zu tun hat, demonstriert auch der jetzt vorgestellte Dokumentarfilm zweier Kreuzberger Filmemacherinnen. Ein halbes Jahr lang begleiteten Gabriele Mauch und Karin Redlich eine Gruppe Marzahner Jugendlicher durch ihren Alltag. »Von Gewalt halt ich nicht viel, nur mit Gewalt erreichst Du 'ne Menge« zeigt das Leben pubertierender Jugendlicher zwischen 13 und 17 Jahren in Momentaufnahmen und Interviews.
Nicht von organisierten Jugendlichen ist in dem Film die Rede, sondern von denen, die »das im Prinzip nur machen, um bei der Clique dabeizusein. Bei uns sind es überwiegend Rechtsradikale, aber wenn ich mich jetzt zum Beispiel mal nehmen würde, manchmal frage ich mich, was ich davon habe, wenn ich überhaupt rechtsradikal bin,« erzählt die vierzehnjährige Doreen.
Freddy ist der einzige in der Clique, der mal organisiert war. Nach drei Wochen in der Weitlingstraße (ehemaliger Treff der Nationalen Alternative in Lichtenberg) ist er im vergangenen Jahr erst mal in den Knast gewandert. Als er rauskam, fuhren die Marzahner Kids auf ihn ab. »Von dem konnten wir noch was lernen«, sagt Rene. Freddys Skin- »Karriere« ist tatsächlich filmreif: »Mein Opa hat mir mal die ganzen alten Wehrmachtsklamotten gezeigt, Fotos von Adolf und so. Das war eigentlich der Anreiz dafür«, erzählt er freimütig den Filmemacherinnen. Der jüngere Rene fand Freddy toll. »Eigentlich wollte ich niemanden mehr haben, der mich kommandiert, aber irgendwie brauche ich das. Es müssen aber ordentliche Befehle sein.« Von Pistolen und militärischer Ausbildung schwärmt Rene wie andere von Hawaii, als er mit blanken Augen vor einer geblümten Tapete in einer beengten Marzahner Wohnung sitzt und vertrauensselig in die Kamera guckt.
Im Suff gehen die Jungs dann auch mal richtig hart ran (»Wir sind doch keine Feiglinge«). Mal geht ein Imbiss zu Bruch, mal zocken sie Vietnamesen ab. Die Mädchen halten sich zurück. »Wir haben dabei ja eh nichts zu sagen und sind dann die Außenseiter«, sagt Doreen. Nach ihren Sauftouren kommen die Jungs zurück. Der monotone Alltag geht weiter, als wäre nichts passiert.
Ein halbes Jahr später vor dem Jugendklub: Viel hat sich verändert. Freddy läßt sich nicht mehr blicken, weil er vor der Rache eines Größeren Schiß hat, dem er die Freundin ausspannen wollte. Außerdem weiß er, daß »ich bei der nächsten Sache im Knast lande. Jetzt werde ich mal wieder ein normaler Bürger, Einsicht ist dran.«
Die Clique ist zersplittert, Rene hängt sturzbetrunken auf der Treppe und klagt über die bescheuerte Regierung. Die Mädchen haben sich zurückgezogen, »weil die eh immer nur saufen und dann klatschen gehen. Und wir sollen denen das dann noch bezahlen.« So kurzlebig können Jugendgruppen sein. Das Ende ist offen. Die Filmemacherinnen hoffen, eine Weiterverfolgung des Projekts finanziert zu bekommen. Im Moment ist jedenfalls tote Hose. Der Jugendklub wird renoviert. Jeannette Goddar
Der Dokumentarfilm ist erhältlich bei den Filmemacherinnen unter Telefon 6935927 oder 6246609.
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