Die PKK trägt den Krieg nach Istanbul

Zwei Anschläge forderten am Wochenende einen Toten und zwölf Verletzte/ Vermutlich Vergeltungsaktionen für großangelegte Operationen der türkischen Armee in Kurdistan  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Der bedeckte Bazar, eine der touristischen Hauptattraktionen Istanbuls, wurde am Samstag mittag Ziel eines Anschlages. Gegen 14.15 Uhr detonierte eine Zeitbombe, die in einer Mülltonne plaziert worden war. Ein Teppichhändler wurde getötet und sieben Menschen verletzt. Fast zeitgleich explodierte eine Bombe im Istanbuler Einkaufszentrum „Galleria“, bei der fünf Personen verletzt wurden.

Verschiedene Istanbuler Zeitungen erhielten Bekenneranrufe. Die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK), die seit 1984 einen bewaffneten Guerillakrieg im Osten der Türkei für ein unabhängiges Kurdistan führt, übernahm laut dem anonymen Bekenner die Verantwortung. „Falls notwendig, werden wir Istanbul in ein Meer von Blut verwandeln“, zitiert die Tageszeitung 'Hürriyet‘ den Anrufer. Die Sicherheitsvorkehrungen im Bazar waren in den vergangen Wochen verstärkt worden, da sich im Besitz eines getöteten PKK-Militanten Pläne für einen Bombeneinsatz im Istanbuler Bazar befanden. Bereits Anfang Dezember hatte der Führer der PKK, Abdullah Öcalan, von seinem Lager in der libanesischen Bekaa-Ebene gegenüber Journalisten Vergeltungsschläge im Westen der Türkei angedroht. „Falls sie uns auf den Bergen bombardieren, geben wir den Befehl aus, im Bazar zu schießen.“ Der stalinistische Führer, der in Türkisch-Kurdistan sagenumwobenes Ansehen genießt, hatte Ende des Jahres die nach den Wahlen im Oktober hervorgegangene Regierung Demirel aufgefordert, den Dialog mit ihnen zu suchen. „Falls nicht ernste Schritte unternommen werden, wird das türkische Volk mit Schrecklichem konfrontiert werden. Es wird dann viel Blut fließen. Wenn es tausend Tote im vergangenen Jahr waren, so werden es zehntausend Tote in diesem Jahr sein.“

Sollte es zu keiner politischen Lösung in dem kurdischen Bürgerkriegsgebiet kommen, wo der türkische Staat mit Waffengewalt die kurdischen Autonomiebestrebungen zu unterdrücken versucht, will die PKK offensichtlich mit wahllosen Anschlägen in den westlichen Großstädten die Eskalation des Terrors betreiben. Seit Oktober erfolgten vier Anschläge der PKK in Istanbul. Am 17. Oktober wurde ein Militärbus in Istanbul beschossen. Es gab vier Verletzte. Am 25. November griffen PKK-Militante einen Gendarmerieposten im Quartier Pasaköy an. Ein Soldat wurde getötet, fünf weitere wurden verletzt. Am 25. Dezember warfen jugendliche Sympathisanten der Organisation Molotowcocktails in ein Istanbuler Konfektionsgeschäft. Zwölf Menschen starben bei dem Blutbad.

Nach der Statistik des türkischen Polizeipräsidiums verwirklichte die PKK 1991 insgesamt 1.200 Aktionen. Insgesamt seien bei den bewaffneten Auseinandersetzungen und Anschlägen 769 Menschen ums Leben gekommen. Die polizeilichen Zahlen dürften eher untertrieben sein.

Die Anschläge in Istanbul sind offensichtlich als Vergeltungsanschläge auf die jüngsten großangelegten Operationen der türkischen Armee in Türkisch-Kurdistan gedacht. Im Cudi-Gebirgsmassiv bei der Provinzstadt Sirnak und in der Region um die Stadt Tunceli bombardierten in der vergangenen Woche türkische Flugzeuge und Helikopter Lager der PKK. Laut Meldung der Tageszeitung 'Hürriyet‘ sollen dabei 500 PKK-Kämpfer getötet worden sein. Obwohl die Zahlen jeder Grundlage entbehren, ist zuverlässigen Quellen zufolge unbestreitbar, daß die Armee vor Beginn des Frühjahrs der Guerilla entscheidende Verluste beibringen will. Die PKK hat für das Frühjahr angekündigt, ein „Kriegskabinett“ zu bilden und einen Generalaufstand in den kurdischen Regionen zu beginnen. Auch der staatliche Terror gegen Regimekritiker in den kurdischen Gebieten hält unvermindert an. Zwei Funktionäre der kurdischen „Arbeitspartei des Volkes“, einer legalen Partei mit starken Sympathien für die PKK, wurden vergangene Woche ermordet aufgefunden. Die Morde werden der „Counter-Guerilla“, dem türkischen Gladio-Ableger, zur Last gelegt.