: NEUE ARSCHLÖCHER BRAUCHT DAS LAND Von Mathias Bröckers
Ja gibt es denn nichts anderes mehr als diese elende Stasi- Debatte — die Öffentlichkeit, könnte man den Eindruck haben, wird von diesem Verein nach seinem Ableben mental mehr in Beschlag gehalten als zuvor. Als ob es auf diesem in allen Fugen knirschenden Planeten nichts Wichtigeres gäbe. Andererseits: Was soll man machen, wenn jede Woche ein neuer Spitzel auffliegt, ein Verräter und Denunziant offenbar wird, eine Blockflöte zum Singen gezwungen wird? Das Volk liebt den Verrat — die Geschichten von Intrige und Hinterfotzigkeit — haßt den Verräter, und genießt es, wenn er — überführt — sich dreht, windet und zu Kreuze kriecht. Deshalb werden uns diese Geschichten noch eine ganze Weile begleiten — auch wenn Wolf Biermann im 'Spiegel‘ androht, aus der Stasi-Schlammschlacht auszusteigen und künftig nur noch zu singen. „Neue Saiten auf meine alte Gitarre“ will er sich aufziehen — nein bitte, nur das nicht, das ist, da bin ich mit Stasi-Chef Mielke ausnahmsweise ganz d'accord, fürchterlicher als jedes Maschinengewehr. Dieses grauenhafte Gezupfe, dieses dumpf-dialektische Gejammer, nein, Biermann, dann lieber noch ein paar schmissige Kriegsaufrufe, bißchen Schwarzkopf-Propaganda und Wüstensturm-Geheul in Artikelform. Und das „Arschloch“ in der Stasi- Debatte war doch ein guter Anfang— jetzt aufhören und sich moderat wieder aufs Singen zu verlegen, ja, die auf anderem Felde neugewonnene Popularität schamlos zu nutzen, um als Heine-Fake wieder mit der Klampfe hausieren zu gehen, grenzt, zumindest für meine Ohren, an Unverschämtheit. So wie man ja auch von Enzensberger keine neobanale Alterslyrik, sondern die Fortsetzung der Saddam-Adolf-Exegese erwartet, so sind von Biermann jetzt weitere Arschlöcher fällig, poetisches Gefurze zur Gitarre gilt nicht!
Dies ist meine erste Kolumne aus der Stasi-Opfer-Perspektive — Till Meyer hat in der taz-Redaktion für die „Terrorabwehr“ des MfS agiert und die linke Szene ausgespäht — gratis und aus Überzeugung. Seine Motive, die er im Fernsehen äußerte, scheinen logisch: Die Stasi half seinen ehemaligen Genossen vom „2.Juni“, und Till Meyer half der Stasi, dies unter der Decke zu halten. Nun war allen in der taz von Anfang an klar, daß ein solches Projekt Spitzel anzieht wie Honig die Bienen — daß es nun ausgerechnet die Terrorabwehr der DDR ist, deren Agent als erster auffliegt, überrascht aber dann doch, die Terrorabwehr der anderen Seite hätte man viel eher vermutet. Nur steht hier nicht zu erwarten, daß sich die Akten jemals öffnen und sich die BND-Agenten aus Überzeugung offenbaren müssen — und es gibt, genau betrachtet, auch gar keinen Grund. Denn es gab und gibt in der taz keine Geheimnisse — alles, was mehr als ein offensichtliches Gerücht war, wurde breitest diskutiert, jeder noch so uninteressante interne Streit kam per Debatte dick in die Zeitung, und wenn jemand sein Büro abschloß, dann nur, damit über Nacht keiner den Kühlschrank leermachte oder die Haschisch-Reserve wegrauchte. Die offenen Geheimnisse aus der taz, die Meyer der Stasi steckte, mögen ganze Aktenmeter füllen — sie sind letztlich genauso uninteressant wie ihr Pendant beim VS, wenn es denn stimmt, was Meyer sagt, daß er als IM Willi Waldorf niemanden denunziert hat. Auf unsere Opfer-Akte dürfen wir gespannt sein — ohne Klatsch, der schärfsten Waffe im Klassenkampf, wären sie kaum spannender als die Tageszeitungen von gestern.
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