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Dziewkowice: nazideutsch Frauenfeld

In Polen leben Ukrainer, Weißrussen, Deutsche, Litauer, Juden, Slowaken und Griechen/ Was den Deutschen zweisprachige Ortsschilder, sind den Ukrainern ihre Kirchen  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Es war der Bürgermeister von Dziewkowice bei Oppeln, der die Sache auf die Spitze trieb. Im Sommer letzten Jahres befestigte er an den offiziellen Ortsschildern seines Dorfes deutsche Tafeln mit der Aufschrift „Frauenfeld“. Die Tafeln hingen einen Tag, dann mußten sie auf Anweisung von oben wieder abmontiert werden. Die lokale Presse rümpfte die Nase — statt des historischen Ortsnamens hatte Helmut Wieschollek ausgerechnet jene Bezeichnung gewählt, die Hitler 1934 hatte einführen lassen, um die zum Teil polnisch klingenden Ortsnamen in Schlesien vollkommen einzudeutschen. Dabei konnte sich Wieschollek aber immerhin auf den offiziellen Forderungskatalog der deutschen Minderheit und eine Art Zusage von Polens damaligem Premier Bielecki stützen. Der hatte sich nicht grundsätzlich gegen zweisprachige Ortstafeln ausgesprochen, sondern nur gemeint, man solle damit noch etwas warten, um die polnische Bevölkerung nicht zu verwirren.

Das Problem ist nämlich nicht nur ein deutsch-polnisches. Verabschiedet Polens Sejm irgendwann zwischen Wirtschaftsdebatten und Sparprogrammen einmal das von allen Minderheiten seit langem angemahnte Minderheitengesetz, werden sich die Polen in der Provinz nicht nur an deutsche Ortstafeln, sondern auch an kyrillische gewöhnen müssen. Die ukrainische Minderheit in Polen ist nämlich nicht nur mindestens so zahlreich wie die deutsche, sie ist auch über das ganze Land, von Stettin über Danzig und Breslau bis Przemysl verstreut. Neben mehreren hunderttausend Deutschen in Schlesien gibt es so noch zirka 200.000 Ukrainer, etwa ebenso viele Weißrussen, zirka 80.000 Litauer und eine Vielzahl kleinerer Minderheiten. Zu ihnen zählen zirka 5.000 Juden, mehrere tausend Slowaken sowie einige hundert Griechen. Diese waren während der Militärdiktatur geflohen und von Polens kommunistischer Regierung als Asylsuchende aufgenommen worden.

Alle diese Minderheiten haben inzwischen das Recht erhalten, eigene Gesellschaften und Vereine zu gründen, in den staatlichen Schulen muttersprachlichen Unterricht zu erteilen und eigene Presseorgane herauszugeben. Darüber hinaus werden kulturelle Veranstaltungen der Minderheiten vom Kulturministerium subventioniert. Bei den Parlamentswahlen letztes Jahr wurden Minderheitenlisten sogar bevorzugt behandelt, so mußten sie zum Beispiel weniger Unterstützungsunterschriften sammeln und konnten leichter Landeslisten aufstellen. Genützt hat dies vor allem der deutschen Minderheit, die es auf sieben Abgeordnete und einen Senator brachte. Weißrussische, ukrainische und litauische Vertreter sitzen allerdings in zahlreichen Stadtparlamenten und Gemeinderäten. Für die großen Minderheiten der Weißrussen, Litauer und Ukrainer gelten diese Rechte bereits seit langem. Der Bund der Ukrainer besteht so bereits seit 1956, auch die anderen Minderheiten hatten bereits in der Volksrepublik ihre Vereine — mit Ausnahme der Deutschen. Diese organisierten sich erst ab 1989. Doch auch die scheinbaren Rechte der anderen Nationen sind zu tatsächlichen Rechten erst seit dem Runden Tisch und der politischen Wende in Polen geworden. Die Ukrainer hatten zuvor zwar ihre eigenen Zeitungen, diese jedoch wurden zensiert. Sie hatten ihren Verein, doch der unterstand dem Innenministerium und wurde vom Geheimdienst kontrolliert. Dafür war die offizielle Propaganda nicht selten sehr minderheitenfeindlich.

Nachdem die grundlegenden Probleme der Minderheiten inzwischen weitgehend gelöst sind, beginnt nun zunehmend der Streit um die Einzelheiten. Was bei den Deutschen zweisprachige Ortsschilder und verfassungsmäßige Minderheitengarantien sind, sind den Ukrainern ihre Kirchen.

Da Ukrainer während des Zweiten Weltkriegs auf seiten der Deutschen und anschließend im Untergrund gegen die kommunistische Macht in Polen gekämpft hatten, wurden sie nach dem Krieg zwangsumgesiedelt. Die unierte Kirche, die äußerlich dem gleichen Ritus wie die orthodoxe angehört, aber dem Papst untersteht, wurde in Polen verboten, ihre Kirchen der moskautreuen orthodoxen oder der katholischen Kirche übergeben. Nun wollen die griechisch-katholischen Ukrainer von ihren römisch-katholischen Glaubensbrüdern ihre Kirchen zurück. Das aber ist nicht unproblematisch, besonders dort, wo vor dem Krieg die Ukrainer starke Bevölkerungsanteile hatten, inzwischen aber die Polen fast alleine unter sich sind.

Auf die Einführung zusätzlicher Amtssprachen in den Minderheitengebieten dürfte sich Polen kaum einlassen, zu tief sitzt die Überzeugung, Polen sei eigentlich ein ethnisch homogener Nationalstaat. Tatsächlich machen die Minderheiten nur zirka fünf Prozent der Gesamtbevölkerung aus, auch wenn sie in manchen Landesteilen (Schlesien oder im nordöstlichen Grenzgebiet) die Mehrheit stellen.

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