: Bergleuchten auf der Carrerabahn
■ Rasanten Gestank, gebrochene Knochen und viel Werbung ertrug beim Moto-Cross unser zäher Reporter Detlef Kuhlbrodt
»Hunderttausende junger Menschen interessieren sich für Motorsport. Viele betreiben ihn aktiv. Sie ... haben, was vielen heute fehlt: ein Ziel«, schreibt der ADAC Berlin-Brandenburg im Programmheft zum 9. Internationalen Hallen-Cross Berlin, dem fünften und letzten Lauf zum ADAC- Michelin-Hallen-Cross-Cup in der Deutschlandhalle. Sechseinhalbtausend berlinernde und umländlerische ZuschauerInnen pflichten dem Automobilclub bei. Väter mit ihren Söhnen, Frauen mit ihren Männern, jugendliche Fanclubs und 65jährige Veteranen in historischer Motorradkluft machen viel Krach, johlen und trompeten begeistert ihren 28 Moto- Cross-Helden zu. Bunt und schön wie eine Carrerawohnzimmerbahn ist die Halle geschmückt. Gefahrvolle Hindernisse: enge Kurven, ein paar Sprungschanzen, holprige Bretter und ein von innen beleuchteter Berg simulieren schweres Gelände. Michelin-Fähnchen wehen im Wind, hunderttausend rote Luftballons warten unter der Hallendecke darauf, herunterzufliegen. LKW-Reifen und schwarze »Hein-Gericke«- Säcke, die so aussehen wie Zehnliterbenzinkanister, markieren den engen Cross-Parcours, den die mutigen Männer zu nehmen haben. Fast rührend macht eine jämmerliche Lasershow für »Auto-Eicke« und »Hein Gericke« Reklame. »Hein Gericke«, wer ist das nur? »Wir wären Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie die in diesem Programm aufgeführten Firmen bei ihren zukünftigen Einkäufen berücksichtigen würden«, steht im Programm. Also kaufen wir bei »Hein Gericke«, beim DRK Berlin, bei Blumen-Fischer und bei Blumen-Rühl; trinken Motoröl und Groterjan — nicht immer, aber immer öfter — während eine Stunde lang vor den zehn Rennen kunstnebelverblendet eine Mischung aus Kaufhausmuzak, Bumsmusik und »Also sprach Zarathustra« dem Ganzen einleitend einen »würdigen Rahmen« verleiht. Dann betreten endlich unter Swingklängen weißgewandete Streckenposten die Halle, das Licht geht aus, ein paar Tischfeuerwerke an, und die von Cheergirls bejubelten 28 Fahrer fahren in einem 'BZ‘-Bus in die Arena.
Favoriten sind: Karl Sulzer, »der freundliche Mann aus Kitzbühel«, Axel Holvoet, »der junge Belgier, der übrigens fünf Sprachen fließend beherrscht«, Publikumsliebling Andreas »flying« Kanstinger, ein 20jähriger KTM-Fahrer aus dem Schwarzwald, der »sympathische Sportsmann« aus Dänemark, Claus- Manne Nielsen, Mike Jones, der Stadion-Cross-Weltmeister von '89, Tom Carson, »Springerkönig der Ostseehalle in Kiel«, und der ehemalige BMX-Radler Bernd Eckenbach.
»‘Jippie‚, sagt er leise und steigt auf seine Enduro«, »Klarer Fall«, »Pit, du bist ein Hit«, hört er's rufen. »Grummeln im Bauch« verspürt Willi Formanek in einem Vorlauf, während er »seine Träume aktiviert und sein Leben lebt« und als Außenseiter die Führung übernimmt und fliegt wie ein junger Gott, eingeholt und ausgebremst wird und sich bei einem übermütigen Überholmanöver überschätzt und überschlägt. »Willi, was soll das?« fragt der Stadionsprecher und addiert ein wenig greisenhaft: »Das ist eben die Jugend.« Während die Streckenposten nach jedem Rennen die Hindernisse reparieren, hoffen die Pressekollegen, »daß die Scheiße bald vorbei ist« und die Bundesliga wieder anfängt.
Schwer stürzt der «Superflyer« Colin Dugmore und wird ausgiebig verarztet. »Er kann immer noch Arme und Beine bewegen«, frohlockt der Conférencier. »Wir drücken ihm die Daumen«, und verschiedene Firmen spenden jeweils 50 Mark für den Schleudertraumatisierten. »Der Sport ist gefährlich, das wissen wir alle.« Wider alle Erwartungen freut sich das Publikum nicht, als ein weiterer Fahrer, der Belgier Bernhard Magain, im Finale mit einem Kollegen beim Sprung zusammenprallt und regungslos auf der Strecke liegenbleibt. Als seine Sportsfreunde munter weiterfahren, obgleich die Streckenposten nach Abbruch winken, gibt es ein faires Pfeifkonzert. Ein weiteres Mal rauscht der Rettungswagen in die Nacht. Unterarmbruch, das ist beruhigend. »Good Life«, singt's durch die Halle. Und am Ende gewinnt Mike Jones, Manne Nielsen wird Zweiter, Tom Carson Dritter.
Im Gesamtklassement allerdings hatte der geniale Däne Nielsen »die Nase vorn«. Den anschließenden »Hein Gericke Action-Cup«, bei dem es vor allem ums schöne Fahren ging, gewannen dagegen die Amerikaner Carson und Jones, weil sie so come-together-mäßig gemeinsam auf ihrer »Karre« herumfuhren. Auf dem Heimweg anschließend schimpft jemand auf den umsichtigen Busfahrer: »Warum schiebste denn das Auto nicht, dann sparst du Sprit, du Gurkenpaul!«
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