: Segen der Versuchung
■ Eine höhere Mehrwertsteuer lohnt sich auch für die Länder
Die Bundeskassen sind bekanntlich leer; nachdem die Regierung bereits fast alle Steuerregister gezogen hatte, blieb nur ein Griff in des Bürgers Geldbeutel übrig: Die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Diese, so der Plan des Finanzministers Theo Waigel, solle von 14 auf 15 Prozent heraufgesetzt werden, wie es als Mindestsatz von den EG- Finanzministern im Sommer beschlossen wurde. 1991 brachte die Mehrwertsteuer rund 180 Milliarden Mark ein; dem Bund flössen mit der Erhöhung weitere 4,8 Mrd. Mark netto in die Kasse. Doch dazu braucht der Bonner Kassier die Zustimmung des Bundesrats.
Die ebenfalls geplante Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer (rund 6 Milliarden Mark) und eine prozentual noch nicht festgelegte Reduzierung der betrieblichen Vermögenssteuer schlagen auf die strapazierten Kassen von Ländern und Gemeinden durch. Um die Front der Nein-Sager aus den Reihen der SPD-regierten Bundesländer aufzuknacken, lockte Waigel mit Finanzgeschenken: Der neue Steuersegen, knapp 13 Milliarden Mark jährlich, sollte bis 1994 ausschließlich in die neuen Länder fließen und dort die Reduzierung des Fonds Deutsche Einheit ausgleichen helfen. Damit sich die Regierungschefs der alten Bundesländer nicht verprellt fühlen, legte Waigel auch ihnen etwas drauf: Von der Mehrwertsteuer dürften die Länder künftig nicht mehr 35, sondern 36,5 Prozent einstreichen, kündigte der Finanzminister als Kompromiß für die Sitzung des Vermittlungsausschusses an. Das freilich würde den Ländern rund drei Milliarden Mark jährlich bescheren. Doch das ist dem niedersächsischen SPD-Ministerpräsidenten Gerhard Schröder noch zu wenig, der einen Ausgleich für die wohl bald entfallende Strukturhilfe sucht. Geht es nämlich nach Waigels Plänen, fließen die 2,45 Milliarden Mark der Strukturhilfe ebenfalls nach Osten. Schröder verlangt weiterhin einen Länderanteil von 37 Prozent und darüber hinaus mehr Kindergeld. Der Finanzminister hatte angeboten, das Kindergeld von 50 auf 70 Mark zu erhöhen und den Kinderfreibetrag von 3.024 auf 4.104 Mark heraufzusetzen. Die SPD fordert dagegen eine Verdoppelung des Erstkindergeldes auf 100 Mark bei unverändertem Freibetrag. Daß Waigel den Köder morgen noch auf 90 Mark erhöht, wird nicht ausgeschlossen. es
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