: UDA richtet Massaker in Belfaster Wettbüro an
Angeblich Racheaktion für das letzte Blutbad der IRA/ In diesem Jahr wurden in Nordirland bereits 27 Menschen bei Anschlägen getötet/ Höchste Rate seit 1976/ Kein Ende in Sicht/ Ruf nach „Verstärkung der Sicherheitskräfte“ ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
In Nordirland machen sich immer mehr Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit breit. Nach dem Attentat der protestantischen „Ulster Defence Association“ (UDA), die am Mittwoch in einem Belfaster Buchmacherladen fünf Menschen erschoß, ist die Zahl der Opfer des Konflikts in diesem Jahr bereits auf 27 gestiegen— die höchste Zahl seit 1976. Innerhalb von nur drei Tagen wurden zwölf Menschen getötet.
Das Wettbüro liegt an der überwiegend katholisch bewohnten Ormeau Road kurz vor der Brücke über den Fluß Lagan. Am anderen Ufer schließt sich ein protestantisches Viertel an. Am frühen Nachmittag stürmte ein UDA-Kommando in den Laden und eröffnete das Feuer auf die 17 Anwesenden. Da das Buchmachergeschäft wie allgemein üblich nur aus einem kahlen Raum besteht, gab es keinen Schutz für die Anwesenden: Das jüngste der Opfer war 16 Jahre alt, das älteste 67. Neun Menschen wurden bei dem Attentat verletzt.
Die UDA, die sich noch immer der Legalität erfreut, gab später — unter ihrem Decknamen „Ulster Freedom Fighters“ — in einer Presseerklärung bekannt, daß es sich bei dem Anschlag um eine Racheaktion für den IRA-Mord an acht protestantischen Arbeitern im Januar gehandelt habe.
Die paramilitärischen Organisationen der Protestanten haben in letzter Zeit wiederholt versucht, die Logik hinter diesen wahllosen Anschlägen zu erklären. Sie behaupten, daß die Bevölkerung in den katholischen Ghettos die IRA unterstütze oder zumindest toleriere. Ein Massaker an der Zivilbevölkerung werde deshalb nach Ansicht der Paramilitärs dazu führen, daß sich die Ghettobewohner von der IRA abwenden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Nach Anschlägen dieser Art suchen viele erst recht bei der IRA Schutz und fordern die Organisation zu Gegenschlägen auf— in dem irrigen Glauben, daß die andere Seite dann ihre Taktik aufgebe.
Die IRA will jedoch eine „Auge- um-Auge-Situation“ vermeiden, da dies die offizielle britische Sichtweise untermauern würde, bei dem Konflikt handle es sich um einen „Religionskrieg“ zwischen Katholiken und Protestanten. Das geht aus den von der IRA veröffentlichten Presseerklärungen immer wieder hervor. Sie betont, daß sie einen „antiimperialistischen Befreiungskrieg gegen die britischen Besatzer“ führe. Erst am Mittwoch morgen ist ein IRA-Mitglied bei einem mißlungenen Anschlag auf einen Soldaten ums Leben gekommen. Der neutrale Anstrich, den sich Armee und Polizei in diesem Konflikt geben, ist jedoch längst abgeplatzt. Seitdem eine polizeiliche Untersuchung, die auf Druck der Politiker eingesetzt wurde, ans Licht gebracht hat, daß die „Sicherheitskräfte“ die protestantischen Paramilitärs jahrelang mit regelrechten Steckbriefen „mutmaßlicher IRA-Mitglieder“ versorgt haben, glauben auch gemäßigte Katholiken nicht mehr an die Neutralität.
Ausgerechnet diese Untersuchung hat erheblich zu dem Anstieg loyalistischer Gewalttaten seit über einem Jahr beigetragen. Im Zuge der Ermittlungen wurden nämlich zahlreiche UDA-Führer verhaftet. Das kam den Nachwuchskräften durchaus gelegen, da sie der alten Garde schon seit Jahren vorgeworfen hatte, mehr an persönlicher Bereicherung durch Schutzgelderpressung als an paramilitärischen Aktionen interessiert zu sein. Nach den Verhaftungen war der Weg frei für die jüngeren Mitglieder, die seitdem einen militanten Kurs fahren. Zwar ist es der UDA im vergangenen Jahr gelungen, mehrere Mitglieder von IRA und Sinn Féin, dem politischen Flügel, zu töten, doch zwei Drittel der Opfer waren — wie am Mittwoch — Katholiken ohne paramilitärische Verbindungen.
Das Massaker im Wettbüro, das gestern von Politikern aller Couleur verurteilt wurde, hat erneut Forderungen nach Verstärkung der „Sicherheitskräfte“ und Wiedereinführung der Internierungen ohne Anklage ausgelöst. Darin drückt sich die ganze Hilflosigkeit aus: Die Vergangenheit hat bewiesen, daß dem Konflikt mit diesen Maßnahmen nicht beizukommen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen