: 1 Musical, und 150 machen mit!
■ „Ratabanahs Zauber“ mit Tanz, Akrobatik, Musik & Gesang / Premiere ausverkauft
Die Schwingtür zum Konsul- Hackfeld-Haus kommt nicht zur Ruhe. Pausenlos strömen junge Leute ins Foyer, einige in Abend- Gala, eine rothaarige Hexe, Menschen mit Geigen und ganz viele Mädchen im Sportdress. Insgesamt 150 Mitwirkende versammeln sich am letzten Mittwoch zum Probentermin des „Bremer Musical Projekts“ im großen Saal. In einer Ecke üben zwei Akrobaten komplizierte Figuren, an der Längsseite tanzen Gruppen von jungen Mädchen, und im Hintergrund spielt sich ein Orchester ein. Wer bei diesem Durcheinander den Überblick hat, ist nicht ganz klar, und als auch noch ein Fernsehteam von Radio Bremen auftaucht, scheint das aufgeregte Chaos perfekt.
Hans-Jürgen Rinn, 33, ist einer derjenigen, der weiß, wo's lang geht und wo das alles enden soll. Der Schauspieler vom Freiraum- Theater und der Freilichtbühne Lilienthal ist der Regisseur des Mammutunternehmens Ratabanahs Zauber, das heute abend im Ernst Waldau Theater vor bereits ausverkauftem Haus Premiere hat. Die Idee, ein zweistündiges Musical auf die Beine zu stellen, ist schon über zwei Jahre alt. Mit der Erfahrung von Schulprojekten und Tanzsportgruppen aus Bremer Vereinen entwickelten die Choreographin Anke Schötzau und Sandra Knoll den Gedanken, mal etwas richtig Großes zu machen. Der Kontakt zur Autorin Ulrike Badorrek war schnell hergestellt, und nach der sorgsamen Prüfung von fünf Kurzgeschichten wurde die Story der Hexe Ratabanah, die dem Theaterdirektor Serafin das Leben zur Hölle macht, ausgewählt. Die jungen Komponisten Daniel Akkermann und Simon Mawn waren sofort davon begeistert, eine Bühnenmusik zu erarbeiten — und los ging die Suche nach weiteren Mitwirkenden.
Die beiden InitiatorInnen sichteten Tanzgruppen in Sportvereinen, hörten Chöre an, stellten verschiedene MusikerInnen zu einem zwanzigköpfigen Orchester zusammen, sprachen Laienschauspieler an und gewannen AkrobatInnen.
Das wirklich Interessante an der Sache ist, daß alle diese verschiedenen Gruppen autonom nach den Vorgaben des Scripts die jeweiligen Parts erarbeiteten. Die OrganisatorInnen hatten in dieser Phase nur moderierende Aufgaben und koordinierten rund um die Uhr. So betonen sie dann auch den Teamgeist des ganzen Unternehmens und den liebevollen Umgang miteinander. Simon Mawn: „Schreib' bloß nicht zuviel über uns. Viel wichtiger sind die einzelnen Gruppen mit ihren tollen Ideen und ihrer Kreativität.“ Und Regisseur Rinn ergänzt: „Schau' dich um. Wir haben hier Schüler, Studenten, Maurer, Friseusen und Arbeitslose zwischen 15 und 33 Jahren. Die bilden alle eigene Formationen, die wir nur noch wie Puzzleteile zusammenfügen müssen. Immerhin bekommt keiner einen Pfennig und opfert trotzdem viel Zeit. Wir haben den Beweis erbracht, daß die autonome Eigenarbeit zu einem Ganzen wachsen kann.“
Daß die euphorischen Aussagen durchaus ernst zu nehmen sind, wird am schleppende Fortgang der Fernseh-Dreharbeiten deutlich. Ellenlanges Warten und immer neue Kameraeinstellungen werden geduldig ertragen. Ist eine Szene beendet, klatschen alle begeistert und ganz offenbar ehrlich gemeint Beifall. Daß bisher nur vier Aufführungen geplant sind, begründet Sandra Knoll so: „Wir wissen doch gar nicht, wie das beim Publikum ankommt. Außerdem ist es gar nicht so leicht, 150 Leute öfter zusammenzubekommen. Vom Interesse der Medien sind wir überrascht. Und eigentlich kann ich es noch gar nicht fassen, daß es Samstag vor 550 Leuten richtig wahr wird, ich jedenfalls werde immer hibbeliger.“
Als wenn es des Positiven nicht genug wäre, setzen die AkteurInnen noch einen drauf. Alle Einnahmen ihres Projektes kommen zwei Bremer Einrichtungen zur Betreuung von Kindern aus Ländern der Dritten Welt zugute, die von ihren Eltern aus wirtschaflicher Not einfach ins Flugzeug nach Deutschland gesetzt wurden. Egal, was bei „Ratabanahs Zauber“ letztendlich herauskommt, dem sympatischen Flair des Spektakels kann man sich nicht entziehen. Jürgen Francke
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