: Kühner Traum vom „Nation Paper“
Zwei Großverlage kämpfen auf Berlins Zeitungsmarkt um Vorherrschaft ■ Von Karl-Heinz Stamm
Für Heiner Müller ist die 'FAZ‘ die Schönste, auch wenn er sich jeden Tag über ihren Inhalt ärgert. „Man kann sie in einem Mercedes lesen, aber nicht in einem Trabant.“ Die 'Berliner Zeitung‘ hingegen passe durchaus in einen Wartburg und die 'taz‘ erinnere von ihrer Ästhetik her an einen roten Lehrlingskalender.
Mit diesem unprätentiösen Bild hatte der Päsident der Akademie der Künste zu Berlin, wo am Donnerstag Abend über die Entwicklung der Zeitungslandschaft in Berlin diskutiert wurde, den ersten Preis an die Zeitung aus Frankfurt vergeben, wo doch jeder in der erlauchten Runde der Chefredakteure und Herausgeber ihn gern selbst in Empfang genommen hätte. Aber Heiner Müller ist zu wenig Zeitungsmensch, als daß er die Zeichen der Zeit verstanden hätte. Denn die deuten darauf hin, daß das zukünftige führende Blatt aus Berlin kommt. Darüber war man sich einig: Die Hauptstadtzeitung wird kommen, so oder so.
Führungsansprüche meldete sogleich Georgia Tornow an, die stellvertretende Chefredakteurin der 'Berliner Zeitung‘. Immerhin beherrscht die aus dem Ostteil kommende Zeitung mit einer täglichen Auflage von 275.000 Exemplaren den Markt. „Wir sind gegenwärtig die stärkste Zeitung und werden es auch zukünftig sein“, so die forsche Vizechefin. Bruno Walter war da anderer Meinung. Er, der Chef der 'Berliner Morgenpost‘, die allein im Ostteil 50.000 Abonnenten dazugewann, ist der Meinung, daß es zukünftig mehrere große Hauptstadtzeitungen geben wird.
Auch wenn sich Michael Sontheimer, Chefredakteur der taz — mit 60.000 Exemplaren gehört sie neben der 'Neuen Zeit‘ zu den kleinen Zeitungen — gegen den Mythos von der Presselandschaft der 20er Jahre wehrte, war dieser allgegenwärtig. Nimmt man das legendäre 'Berliner Tagblatt‘ als Maßstab, dann kann man die Publizistik der Hauptstadt schon als provinziell bezeichnen. Den kühnsten Traum vom „Nation Paper“ hatte ein Außenseiter. Klaus Bölling, Ex-Regierungssprecher unter Helmut Schmidt, beschwor eine Zeitung von hohem Rang, analog der 'Washington Post‘ oder dem 'Independant‘, die nicht nur im Inland gehört wird, sondern auch im Ausland Einfluß hat.
Bei solchen Worten wurde einer ganz blaß. Denn diesen Traum von der großen liberalen Hauptstadtzeitung hatte nach der Wende keiner so geträumt wie er: Lothar C. Poll, Mitherausgeber und Geschäftsführer des 'Tagesspiegel‘, der über 100 Millionen Mark in Druckerei, Haus und Personal investierte. Aber es kam anders. Die Leser würdigten die Bemühungen nicht, die Auflage sinkt. Spätestens jetzt war der Punkt erreicht, wo die hehren Visionen vom einflußreichen Blatt herabsteigen mußten auf die triste Ebene der Ökonomie. Denn obwohl der Leserkreis größer geworden ist, sind die Auflagen eher gesunken. Und auch das Werbeaufkommen, die Basis jeder Tageszeitung — mit Ausnahme der 'taz‘ — geht zurück.
Vom „Medienaufbruch“, dem Thema des Abends, war recht wenig die Rede, was vor allem daran liegt, daß dieser bereits vorbei ist und nun der Leser entscheiden muß, wohin die Reise geht. Deutlich wurde immerhin, daß durch die Ostzeitungen das Springer-Monopol auf dem Berliner Matrkt gebrochen wurde. Mit elf Zeitungen hat die Stadt eine Meinungsvielfalt, die bundesweit ihresgleichen sucht. Die aber wird nur von kurzer Dauer sein. Die Frage ist, wen trifft es als nächsten? Vielleicht die finanziell ins Trudeln geratene 'Junge Welt‘ oder das 'Neue Deutschland‘. Beides sind Zeitungen, die keinen Großverlag im Rücken haben. Eines jedenfalls ist jetzt schon klar, der Kampf um die Marktführerschaft wird zwischen zwei Verlagshäusern ausgetragen: Von Springer mit der 'Morgenpost‘ auf der einen, und Gruner und Jahr mit der 'Berliner‘ auf der anderen Seite. Daß ein potenter Verlag aber nocht lange keine Lebensversicherung ist, zeigt die 'Wochenpost‘. Zwar sprach Chefredakteur Mathias Greffrath von einer Auflage von 170.000, doch blieb diese Zahl auf dem Podium nicht unwidersprochen. Das mag auch der Grund sein, weshalb das Krisengerede um die Wochenzeitung nicht verstummt. Denn bei allen Träumen sitzen im Hamburger Verlagshaus Gruner und Jahr doch primär Kaufleute, und für die zählt nur eines: die Auflage.
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