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Frauen auf Kurzarbeit Null

Vier Frauen aus Ostdeutschland sprechen über die Qual, einfach zu Hause zu sitzen, über ihre vergeblichen Anstrengungen, einen neun Job zu bekommen und über die Hoffnungen, die ihnen geblieben sind.  ■ DIE INTERVIEWS FÜHRTE B. ROCKSLOH-PAPENDIECK Zweck des Kurzarbeitergeldes ist es, den Beschäftig ten den Arbeitsplatz und den Betrieben die eingear beiteten Arbeitskräfte zu erhalten, wenn der Betrieb sie vorübergehend nicht voll beschäftigen kann. Beide Voraussetzungen hob der Einigungsvertrag vom 22.Jni 1990 auf. Viele alte DDR-Betriebe sind faktisch geschlossen und haben keine Aussicht auf Wiederbelebung. Da gibt es nichts mehr zu tun, außer den Nachlaß und das Kurzarbeitsgeld zu verwalten. Das Arbeitsamt nennt diesen Zustand 100Prozent Ar beitsausfall, der Volksmund nennt ihn Kurzarbeit Null. Davon ist hier die Rede.

„Nur geringe Zunahme der Arbeitslosigkeit im Osten“, betitelt die Bundesanstalt für Arbeit im Januar 1992 ihre Presseinformationen über den Arbeitsmarkt im Jahre 1991. Grund dafür sei die starke Entlastung durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen: „Die Regelung, wonach Kurzarbeitergeld auch bei nicht vorübergehendem Arbeitsausfall gezahlt werden konnte, ist in hohem Maß in Anspruch genommen worden. Die Dauer der Arbeitszeiteinschränkung zeigt, daß hinter der Kurzarbeit zunehmend kein kurzfristiger Nachfrageausfall stand.“ Wer's nicht zweimal liest, wird's kaum verstehen. So lassen sich unangenehme Wahrheiten bemänteln.

In der DDR hatten die Frauen nicht nur ein Anrecht, sondern auch die Pflicht zu arbeiten. Die Berufstätigkeit aller Frauen war ein gesellschaftspolitisches Ziel der DDR; sie hatte die höchste Frauenerwerbsquote der Welt. Entsprechend hoch ist nun ihr Anteil an den Arbeitslosen: Ende Dezember 1991 lag er in den neuen Bundesländern bei 61,2Prozent. Die Männer drängen in die zu DDR-Zeiten von Frauen besetzten Bereiche.

Die Kurzarbeit hat den Betroffenen eine Atempause verschafft, möchte man meinen. „Kurzarbeit Null ist nicht gleich arbeitslos“, sagen die Frauen oft selbst. Die Uhr tickt noch nicht wie bei der zeitlich befristeten Arbeitslosenunterstützung. Auch nach vielen Monaten fühlen sich viele ihrem Betrieb weiterhin verbunden, sofern der noch nicht untergegangen ist, und allein deshalb ihre vage Hoffnung nährt, dort wieder Arbeit zu finden.

324.00 Kurzarbeiter(innen) mit 75 bis 100Prozent Arbeitsausfall weisen die „Eckwerte des Arbeitsmarktes für Dezember 1991 im Beitrittsgebiet“ aus. Wie viele von ihnen Frauen sind, ist nicht ersichtlich. Was Kurzarbeit Null für sie heißt, sagen drei von ihnen im Gespräch, die ich im Verlauf des Jahres 1991 mit ihnen geführt habe.

1. Erika Michaelis

Sie ist Facharbeiterin, Jahrgang 1937, verheiratet, fünf Kinder, hat 33 Jahre in der LPG gearbeitet, bis zum 22.Oktober 1990. Seither ist sie auf Kurzarbeit Null.

Das war zu abrupt. Als wenn die Brücke vor einem plötzlich abgebrochen wäre. Ich bin so weit, ich würde den ganzen Tag irgendeiner Arbeit nachgehen. Hauptsache, ich bin hier raus. Hier dreht sich jeden Tag alles um dasselbe. Ich würde gerne noch arbeiten. Wir fühlen uns nur zu Hause nicht wohl. Man kommt sich unnütz vor. Bloß zu Hause sitzen und Staub wischen, das füllt doch den Menschen nicht aus. Das ging nebenbei auch. Die meiste Angst habe ich davor, wenn ich zu lange raus bin, und wenn ich dann wirklich eine Arbeit kriege. Wie man so sagt, eine alte Maschine fängt beim Stillstand an zu rosten, daß ich dann eventuell zusammenbreche, davor habe ich Angst. Eine Muskulatur läßt ja nach, wenn sie nicht beansprucht wird. Davor habe ich Angst, daß man dann, wenn es darauf ankommt, zusammenbricht, und dann heißt es: „Na kiek mal die Alte.“

Ich hoffe ja immer noch, daß es noch irgendwo noch einen kleinen Sonnenschein gibt, daß wir noch einmal irgendwo arbeiten. Wissen Sie, wie mich das anstinkt, wenn ich schon abends um halb acht in die Stube gehen soll, jetzt im Sommer? Jetzt (September) ist es schon ein bißchen früher dunkel, da geht es schon. Aber vor neune sind wir im Sommer nicht in die Stube. Keine Ruhe drin zum Sitzen. Dieses Stillesitzen. Wissen Sie, für Handarbeiten hab ich nicht das Geschick, und dazu ist man nicht angehalten worden.

Also, ins Büro würde ich sowieso nicht, das ist nichts für uns. Ich wüßte nicht, was ich umschulen soll. Ich würde eben ganz gerne so 'ne Aushilfsarbeit, meinetwegen in einer Kaufhalle, auspacken oder sonst was, das ist alles zwar schwere Arbeit, aber vor Arbeit fürchte ich mich nicht. Aber direkt noch nen neuen Beruf, nee.

Und dann müssen Sie immer dazusagen, hat man noch nen Mann, der einen bremst. Wissen Sie, wenn man alleinstehend ist, Kinder sind groß, kann man gehen und kommen, wann man will. Ich würde das ganz anders angehen, ich würde sonstwo hinfahren. Aber das paßt ja den Männern nicht. Die Männer sind ja bequem. Die wollen ihr Essen haben. Die wollen ihre Ordnung haben. Und wenn ich schon einen Tag weg bin, ist zwar nicht Zirkus, aber er sieht es nicht gerne. Wissen Sie: alleinstehend und verheiratet ist ein himmelweiter Unterschied. Anders wäre es, wenn er den ganzen Tag arbeiten ginge. Dann wäre es ganz anders. Wäre ein ganz anderes Problem. Wenn ich alleinstehend wäre, na, das können Sie mir wohl glauben, ich würde jeden Tag bis Berlin fahren. Also, da hätte ich schon was“.

2. Hertha Köhler

Sie ist Facharbeiterin, Jahrgang 1939; verheiratet, zwei Kinder, hat 30 Jahre in einer LPG gearbeitet. Seit Ende Oktober 1990 ist sie auf Kurzarbeit Null:

„Hier in Bliesendorf, da hat so 'ne Firma aufgebaut, die verladet so Salatdressing. ,Das geht nach Leistung‘, hat sie mir das so erklärt. Aber sagte, sie ist erst im Aufbau und ich sollte dann noch mal später hinkommen. Ich sage, sie soll gleich sagen, wenn ich ihr zu alt bin. ,Nee, das spielt keine Rolle‘, sagt sie, ,wer hier flink ist, das wird nach Leistung abgerechnet. Was jeder hat, das verdient er‘, sagt sie, ,hier so 'ne Palette zwanzig Mark.‘ Also, das hätte ich mir ohne weiteres zugetraut. Das waren so 'ne kleinen Kartons, die waren so platt, mußte man so auseinander, so kniffen, 15 Tüten einpacken, dann war so'n anderer Karton, den hat man auseinandergezogen, drübergestolpt und dann auf so'ne Palette. Ich weiß gar nicht, wie viele Kartons drauf waren, es war 'ne ganz schöne Palette, aber ich meine, da kann man sich ja einarbeiten.

Ja, und dann bin ich nochmal hingefahren, und dann sagte sie ,nee‘ und ,noch nicht‘, und dann hab ich aber schon gesehen, daß sie Jüngere da hatte. Sollte ich den ersten August nochmal hinkommen. Und dann bin ich noch mal hingekommen, und dann hat sie gesagt, ,ach naja‘. Ich sag ,Frau Pflüger, sind Sie nu ehrlich, ich bin für 'ne klare Antwort.‘ ,Naja, meinen Sie denn, daß Sie das in Ihrem Alter noch aushalten?‘ Ich sage: ,Was ich aushalte und was nicht, das ist meins.‘ ,Na, kommen Sie doch noch mal wieder, dann werden wir sehen.‘ Ich sage: ,Sagen Sie doch gleich nein, dann brauche ich mich auf diese Stelle nicht mehr zu stützen.‘ Naja, sie hätte schon andere eingestellt.

Und dann bin ich hintergekommen, daß es jetzt ja ganz anders läuft. Die Firma fordert vom Arbeitsamt Arbeiter an und das auf AB-Maßnahme. Da kriegen die Leute 70Prozent, und die, die sie einstellen, kriegen das Geld vom Arbeitsamt wieder. Und viele stellen ja auch Leute ein ohne Steuerkarte. Und das nutzt mir ja gar nichts. Das hilft mir nicht für die Rente.

Und dann war ich an einer Stelle, da sollten auch zweie eingestellt werden, da waren vor mir zwei jüngere. Das war bei Zentra. Auspacken, Regale einpacken und so weiter. Und da sagte der Geschäftsleiter: ,Was wollen Sie denn hier? Sie sind doch bestimmt schon fünfzig.‘ Dann bin ich auch aggressiv geworden. Ich sage: ,Spielt nicht 'ne Rolle, was man leistet und die Einsatzbereitschaft, oder spielt nur Jugend 'ne Rolle?‘ Ich sage: ,Ich bin nicht mehr gebunden, ich hab' kein Kind, nichts, bei mir zählt 'ne Überstunde nicht‘, ich sage, ,ob das bei den Jungen so ist?‘ Da hat er gesagt: ,Also, Sie brauchen gar nicht mit ins Büro 'reinzukommen.‘ Habe ich gesagt ,Wiedersehen‘. Das war das zweite Mal.

Und das dritte Mal haben sie mich angesprochen, und das hab' ich abgelehnt, und das war unser Betrieb. Und zwar kam unser Kaderchef an und sagt ,Frau Köhler, Sie machen doch eigentlich alles.‘ Na, ich sag ,fast‘. ,Wir brauchen unbedingt 'nen Maler. Unsere ganzen Büroräume müssen gemalert werden, und die ganzen Fenster müssen gestrichen werden.‘ Und dann sag' ich: ,Ich muß heute erstmal zum Arzt.‘ Ich sag': ,Wann soll ich denn da anfangen?‘ ,Na, am liebsten schon vorgestern‘, sagt er. Und dann kam mein Mann abends. ,Du‘, sagt der, ,die suchen doch da 'nen Dummen‘, sagt er, ,die haben doch voriges Jahr‘ — und dann ging mir das durch den Kopf. Als wir aufgehört haben, Äpfel zu ernten, da war da ja auf einen Tag Schluß und ab nach Hause und alles, und da haben wir ja unsere Zettel abgeben müssen, und da habe ich gesehen, da haben in diesen Räumen schon welche gemalert, die gar nichts in unserem Betrieb zu suchen hatten, obwohl wir Betriebsmaler hatten. Dann bin ich zu der Ärztin gekommen, und dann habe ich ihr das erzählt. Und dann sagt sie: ,Sie sind ihr Leben lang draußen gewesen. Machen Sie jetzt keinen Fehler. Das vertragen Sie nicht. Und dieses Gebäude‘, sagt sie, ,wie das aufgebaut worden ist, wissen wir nicht. Das ist überhaupt nicht gesundheitsfördernd, da sind schon so viele Beschwerden gekommen, mit Kopfschmerzen und so.‘ Da bin ich hingegangen und hab' gesagt: ,Das mache ich nicht.‘ Da sollte ich weniger als zehn Mark die Stunde kriegen. Die haben nur 'nen Dummen gesucht.

Es ist nur diese Herabwürdigung, daß man jetzt — mein Mann sagt auch, sagt er: ,Hertha, mach' dich doch nicht verrückt‘, sagt er, ,Du bist so fertig auf dem Rücken‘, sagt er, ,Du hast doch zu Hause.‘ Ich sage, ,das ist ja nur, du kommst nach Hause, bist müde von der Arbeit.‘ Ich komme mir irgendwie — die Arbeit haben wir ja sonst auch gehabt mit dem Acker—ich komme mir irgendwie nutzlos vor, obwohl ich ja was schaffe! Und das ist—ich kann es verstehen, daß viele 'nen Herzinfarkt und viele krank geworden sind, ehe sie diesen Leerlauf überbrückt haben, um sich sinnvoll zu beschäftigen.“

3. Hannelore Ratke

Sie ist Produktionsarbeiterin, Jahrgang 1940, verheiratet, drei Kinder. Seit ihrem vierzehnten Lebensjahr arbeitet sie in verschiedenen Betrieben, zuletzt in der Mikroelektronik. Seit Juni91 ist sie auf Kurzarbeit Null.

Barbara Rocksloh-Papendieck: Als ich das letzte Mal hier war, da waren Sie gerade zwei Wochen auf Kurzarbeit Null.

Frau Ratke: Und mein Mann hat noch gearbeitet.

Und da war es ja noch neu, zu Hause zu sein. Wie ist es Ihnen damit ergangen?

Jetzt ist ja noch schlimmer, mein Mann ist ja zu Hause. Darf man bald nirgends alleine wohin. Brauch bloß irgendwas machen: „Was machst Du denn jetzt“ oder „Was machste da“. Ich kann nicht alleine mal einen Moment sein. Nicht alleine. Und das braucht 'ne Frau manchmal. Man will alleine ausspannen. Wenn man Zeitung liest, dann kommt er sofort. Dann ist es schon vorbei mit Lesen.

Keine Freizeit mehr so. Wenn man älter ist, fällt einem vielleicht nicht auf; aber so alt ist man ja noch nicht. Voriges Jahr oder vor zwei Jahren hat mein Mann gesagt: „Noch so viele Jahre und dann bin ich Rentner“, und dann hat er sich immer gefreut. Und diesen Geburtstag war er richtig still. Hat er immer gesagt, und jetzt ist er sill. Er zeigt es ja nicht, aber man merkt es.

Sie reden nicht darüber? Sie fragen ihn auch nicht?

Nee, is besser auch so vielleicht.

Ist es ein gefühlsmäßiger Unterschied, ob man arbeitslos oder auf Kurzarbeit Null ist?

So hat man immer Hoffnung noch. Immer Hoffnung. Dann hab' ich auch noch gehört, daß meine Abteilung wieder voll arbeitet. Hab' ich auch schon geschimpft, wollte vor's Arbeitsgericht. Auf meinem Schein steht, daß bei uns die Elemente HSD und LSD auslaufen, und sie können uns nicht mehr halten. Jetzt hab' ich gehört, die HSD und LSD, die gehen am meisten, sind voll in Produktion wieder. Jetzt haben sie keine zurückgeholt, sondern von 'ner anderen Abteilung angelernt bei uns — zwei junge Mädels — ist eine Sauerei, sowas. Wo ich noch da gearbeitet habe: Keiner wollte LSD und HSD testen. Weil das so kompliziert war, das war noch mehr Handbetrieb gewesen. Da mußte man mehr stellen und bei den anderen Scheibenmessen, war alles Automaten. Da konnten sie nebenbei lesen und sowas alles. Und meine Arbeit war mehr intensiv, mehr Handbetrieb. Da sollte keiner richtig ran.

Und was haben Sie jetzt vor?

Erstmal die Kündigung abwarten.

Haben Sie Angst davor?

Ein bißchen komisch ist es schon, jeden Tag am Briefkasten. Mein Mann genauso. Wenn der Postbote da war, sofort hin und gucken. Mein Mann ist ja noch schlimmer wie ich. Der guckt noch schneller rein.

Nach seiner oder nach Ihrer Post?

Er hat ja keine. Der ist ja im Ruhestand. Bei ihm ist ja der Vorruhestand. Einer muß ja noch was zuverdienen. Alle beide können wir nicht zu Hause bleiben. Überhaupt mit meinem Alter. Ich muß ja noch arbeiten mit 51 Jahren. Ich müßte mal reingehen in den Betrieb. Aber da sind so Nummern, da kommt man ja nicht einfach rein, bei meiner Abteilung. Ist ja alles zugesperrt. Da gibt es bestimmte Nummern, so mit Tippen. Die Karte habe ich noch. Aber vorne, da haben wir jeden Monat unsere neue Nummer gekriegt. Und die habe ich nicht. Da komme ich nicht rein. Die sollen ja ganz schön umgebaut haben jetzt da.

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