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Nächtliche Schüsse auf das Kebab-Haus

Der einzige Türke in der brandenburgischen Kleinstadt Senftenberg lebt in Angst/ Sein Imbißrestaurant hat er nach Schüssen und Drohungen vorläufig geschlossen/ Skinheads terrorisieren die Geschäftswelt von Senftenberg  ■ Aus Senftenberg Bascha Mika

Der erste Schuß fiel Montag nacht. Vier weitere in der Nacht darauf. Die Projektile durchschlugen die Scheibe, rissen riesige Spinnennetze in das Glas. Hinter der zerlöcherten Fensterfront wartet auf weißem Teller ein Fleischberg, garniert mit roten Tomaten und gelben Zitrusscheiben. — Nur ein Foto. Der türkische Grillspieß im Senftenberger Kebab- Haus dreht sich nicht mehr.

„Schüsse? Drüben beim Türken?“ Die beschürzte Frau im Gemüseladen beugt sich noch tiefer über das Sauerkrautfaß. Fast tunkt sie die Backen in die salzige Lake. „Davon weiß ich nichts.“ Die Verkäuferin im neueröffneten Koffer- und Taschengeschäft kümmert sich gerade um ihr Make-up. Zwischen Lidschatten und Lippenstift perlen nur wenige Worte hervor. „Nein. Nichts hab' ich mitgekriegt. Wahrscheinlich waren's Betrunkene.“ Im Spielwarenladen fingert die Besitzerin an den Kleidchen der Barbie- Puppen. „Nein. Eigentlich hab' ich auch nichts gehört.“

Senftenberg ist eine Kleinstadt im südlichsten Brandenburg. 30.000 Einwohner, drei Dutzend Geschäfte. Vom Gemüseladen bis zum Kebab- Haus sind es 50 Schritte, vom Kofferladen 40, von den Spielwaren 20. Die Spuren des Anschlags auf den türkischen Imbiß sind nicht zu übersehen. Aber die Leute, die täglich in unmittelbarer Nähe arbeiten, wissen von nichts. Sagen sie.

„Die Geschosse stammen wahrscheinlich aus einem Kleinkalibergewehr oder einer kleinkalibrigen Pistole. Unsere Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen.“ Hauptkommissar Werner Schäfer sieht nicht aus wie ein Bulle. Feingliedrig und blauäugig rollt er den Fall von seinem Schreibtisch im Dezernat 3 auf. „Am Mittwoch, den 5. Februar wurde die Anzeige aufgenommen. Das ist für uns eine Sachbeschädigung. Wir haben auch keine Möglichkeit, jemand rund um die Uhr zur Bewachung zu schicken.“

30 Kriminaler für 110.000 Menschen

Dem Dezernatsleiter stehen 30 Kriminaler, zwei müde Trabis und zwei senile Wartburgs zur Verfügung. Zum „Schutzbereich Senftenberg“ gehören neben der Stadt noch sechs weitere Orte mit insgesamt 110.000 Menschen. Die Kriminalität ist seit der Wende enorm gestiegen.

Ähnliche „Vorkommnisse“, sagt der Kommissar, gab es im letzten Vierteljahr öfter. Im Autosalon wurden die Schaufenster eingeschlagen, der Jeansladen geplündert. Doch geschossen wurde nie.

Die Bürgersteige im „Schutzbereich“ sind mit Dreck und Braunkohlestaub überzogen. Wasser, das aus großen Pfützen schwappt, verklebt alles zu einem dunklen Brei. Die Thälmannstraße liegt mitten im Zentrum. Viele kleine Läden nebeneinander, auf einer Fläche, die grün sein sollte, drei Stiefmütterchen und vier anämische Birken, hier und da ein blindes Fenster und dunkle Leere im Schaukasten.

Vor dem Kebab-Haus stehen zwei ältere Leute. „Was ist denn hier passiert?“ fragt der Mann und bohrt seinen Finger in ein Einschußloch. „Döner-Kebab & Pizzeria“, liest die Frau. „Ach so, das ist ein Ausländer“, bemerkt sie, als würde das die zerborstene Scheibe erklären.

Mit kariertem Hut und weißer Windjacke kommt einer auf einem Klappfahrad daher, hält vor dem Imbiß und reißt die Tür auf. „Na, Mithat, lebst du noch?“ fragt er freundlich. Mithat Sayilir lebt noch. Seine Angestellten auch. Der Türke, der im August 1990 die Imbißstube in Senftenberg eröffnet hat, sitzt an einem seiner Tische. Alle paar Minuten kommen Leute herein. Sie gehen ohne Döner wieder hinaus. Der Grill und die Mikrowelle bleiben die nächsten Tage kalt. Mithat Sayilir ist fertig.

„Zwei Tage vor Weihnachten haben sie mir die ganze Front mit großen Steinen kaputtgeschlagen. 17 Tage mußte ich zumachen.“ Die neue Scheibe war kaum drin, da fanden sie morgens die Katze. Sie hing an der Tür, schwarz, stranguliert und mit einem Brief um den Hals: „Das ist die letzte Mahnung!“ Dann kamen die Schüsse.

„Geheuer ist mir hier nicht mehr“, murmelt die 24jährige Ines, die mit ihrem Chef im Laden hockt. Seit drei Wochen ist sie bei Sayilir angestellt und mag die Arbeit. Das Kebab-Haus macht einen Umsatz zwischen 1.800 und 2.500 Mark am Tag. Inzwischen war es so oft geschlossen, daß Sayilir den Kredit, mit dem er es renoviert und eingerichtet hat, nicht mehr pünktlich zurückzahlen kann. Sieben Leute sind bei ihm beschäftigt. Sie betreiben zusätzlich seine zwei Imbißwagen in Hoyerswerda und im benachbarten Ruhland. Die laufen zwar gut, aber bringen nicht genug ein, um den Schaden aufzufangen.

Angst um Frau und Kinder

„Ich kann so nicht leben.“ Der kräftige Mann starrt vor sich hin. „Ich hab' Angst um meine Frau und meine drei Kinder. Ich bin ihr Gefängniswärter. Ich schließe sie zu Hause ein, meine Kinder gehen nicht mehr in die Schule.“ Seine Frau hat regelmäßig mit in der Gaststätte gearbeitet. Jetzt traut sie sich nicht mehr auf die Straße. In dem Dorf, in dem sie fünf Kilometer entfernt von Senftenberg lebt, wurde sie angespuckt, als „Schweinetürkin“ beschimpft. In den letzten Wochen hat sie zehn Kilo abgenommen.

„Diese Schweine!“ schreit der einzige Türke von Senftenberg. Er springt vom Stuhl auf. Seine Augen werden blind vor Wut und Tränen. „Auch für die Polizei bin ich nur ein Schweinetürke. Sie tut nichts! Seit dreißig Jahren kenn' ich nur ein Döner-Messer. Aber das kann sich ändern!“ — „Na, na, Mithat. So kennen wir dich ja gar nicht.“ Der Gastwirt vom Country-Club um die Ecke klopft ihm bedächtig auf den Arm. Zusammen mit einem grauhaarigen Bergbaumeister sitzt er bei Sayilir im fürs Publikum geschlossenen Kebab-Haus. Er ist einer der wenigen Senftenberger, die sich um den Fremden kümmern.

Über einen Bekannten aus der Ex- DDR kam die türkische Familie ins ostdeutsche Braunkohlegebiet. Kurz nach der Wende. Sie hoffte auf gute Geschäfte und dachte, es sei so wie in Stuttgart, wo sie zehn Jahre gelebt hatte.

„Das beherrscht hier niemand mehr“, philosophiert der Bergbaumeister über seinem Bierglas. „Über die Polizei lacht ja die ganze Stadt.“ Die Senftenberger nehmen es den Ordnungshütern übel, daß sie sich noch nicht einmal selbst schützen können. Im Oktober marschierten rund 20 Skins von einem Jugendclub direkt in die Polizeiwache. Dort tobten sie sich aus.

„Auch früher schon sind die, die heute rechts oder links sind, kriminell in Erscheinung getreten“, erzählt Kommissar Schäfer an seinem Schreibtisch. Allerdings waren an den Überfällen und Einbrüchen der letzten Zeit immer nur Skins beteiligt. Wie viele sich inzwischen in seinem „Sicherheitsbereich“ rumtreiben, kann er nicht sagen. Sie treffen sich in der Spielhalle „Fortuna“ und decken sich nebenan im „US-Shop“ mit Baseballschlägern und Militärklamotten ein. „Auch bei dem Türken könnten es Rechte gewesen sein“, sinniert der Kommissar. „Aber ich seh' nicht, daß diese Geschichte was mit Ausländerhaß zu tun hat.“

„Wir wissen doch, wer dahintersteckt“, knurrt der Gastwirt vom Country-Club. Müde sieht er die anderen Männer im Kebab-Haus an. „Die sind doch zu mir gekommen, vor ein paar Monaten.“ Vor ein paar Monaten gab es kaum einen Tag, wo nicht eine Schaufensterscheibe zu Bruch ging, nicht irgendein Laden ausgeräumt wurde. Die Senftenberger Kaufleute waren verstört.

Eines Tages tauchte ein stadtbekannter Geschäftsmann mit Begleitung beim Country-Wirt auf. So gehe es nicht weiter, meinte der junge Mann. Man brauche dringend Schutz für die Läden. Ein Wachschutz müsse her. Schließlich gebe es genügend arbeitslose Jugendliche in der Stadt. Er könne sie organisieren. Der Gastwirt brauche nur 150 Mark im Monat zu zahlen.

Der Gastwirt wollte nicht. Andere Ladeninhaber offenbar schon. „In dieser Zeit“, erinnert sich Kommissar Schäfer, „wurden plötzlich von vielen Geschäftsleuten Anzeigen zurückgezogen. Oder es wurden gar keine gestellt.“

Mafiamethoden in Senftenberg?

Auch zu Sayilir kamen sie und wollten ihn schützen. Allerdings gleich für 1.000 Mark monatlich. Er schmiß sie raus. Kurze Zeit später aßen Skins, die öfter bei ihm saßen, ihren Döner nicht mehr friedlich. Sie brachten Bier mit in den Imbiß, scherten sich ein Dreck um die Sperrstunde. Auch die schmiß der Türke raus. Das war am 17. Dezember. Am 22. flogen die Steine.

Mafiamethoden, Schutzgelderpressung in Klein-Senftenberg? „Ja“, nickt der Kommissar vom Gewaltdezernat. „Ich halte das durchaus für möglich.“

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