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Untreu gegenüber Ehefrau und Vaterland

Dem demokratischen Präsidentschaftsbewerber Bill Clinton wird nach einer außerehelichen Affäre nun auch noch die Umgehung des Kriegsdienstes in Vietnam vorgeworfen/ Ein Wahlkampf zwischen den Generationen  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Bill Clinton kämpft einen Stellvertreterkrieg für eine ganze Generation. Zum zweiten Mal im noch jungen amerikanischen Vorwahlkampf muß sich der demokratische Präsidentschaftsbewerber wegen vermeintlicher Fehlleistungen vor der Öffentlichkeit verantworten.

Zuerst war es die wasserstoffblonde Gennifer Flowers, die der Supermarkt-Postille 'The Star‘ für eine sechsstellige Dollarsumme die Geschichte ihrer 12jährigen Affäre mit Clinton verkaufte. Der demokratische Hoffnungsträger bestritt die Liebesbeziehung, gab aber in einem erzwungenen Fernsehauftritt zusammen mit seiner Ehefrau Hillary „Probleme“ in seiner Ehe — im Puritanerjargon Synonym für „Seitensprünge“— zu. Kurz darauf berichtete das sonst so seriöse 'Wall Street Journal‘, Clinton habe sich als Student 1969 zum Höhepunkt des Vietnamkrieges durch seinen Eintritt in das Reserveoffiziers- Programm ROTC vor der Einberufung drücken wollen.

Auch diesem Vorwurf trat Clinton mit einer Mischung aus Verneinung und Offenheit gegenüber. Ja, er sei damals als 23jähriger Student wie viele seiner Kommilitonen gegen den Vietnamkrieg gewesen, gab Clinton zu. Doch versucht, sich dem Kriegsdienst für sein Vaterland zu entziehen, habe er nicht.

Als dann der Fernsehsender ABC am Mittwoch mit der Veröffentlichung eines Briefes drohte, in dem der junge Clinton seinem Vorgesetzten in dem ROTC-Programm seine kritische Haltung zum Vietnamkrieg darzulegen versucht, mußte er noch am gleichen Tag der Nation vor den Fernsehkameras Rede und Antwort stehen. Der Brief, so versuchte Clinton sein Publikum an die bewegten Zeiten nach der umstrittenen Tet- Offensive von 1968 zu erinnern, zeige einen zwischen Kriegsgegnerschaft und Vaterlandstreue hin- und hergeworfenen jungen Mann, der sich — zu einer Zeit, als selbst Richard Nixon schon mit einem Rückzugsplan aus Vietnam die Wahl gewonnen hatte— seinen Weg in eine Politikerzukunft offenhalten wollte. An dem Tag, an dem Golfkrieger George Bush offiziell seinen Wahlkampf aufnahm, fand sich so sein aussichtsreichster Konkurrent Clinton in das schmerzliche Erbe des Vietnamkrieges verstrickt.

Obwohl ihm viele Bürger diese für einen Politiker ungewöhnliche Ehrlichkeit hoch anrechnen, hat Clinton jetzt im Bundesstaat New Hampshire, wo am 18. Februar die ersten Vorwahlen stattfinden, seine Führung in den Meinungsumfragen an den Konkurrenten Paul Tsongas abgeben müssen. Bei den kommenden Vorwahlen in den Südstaaten, wo die Treue gegenüber dem Militär noch eine viel größere Rolle spielt, könnte die Episode Clinton noch größere Verluste einbringen. Der Sonnyboy und ehemalige Gourverneur von Arkansas ist angeschlagen, doch geschlagen ist er noch nicht.

Noch vor wenigen Jahren hätte allein schon ein publizierter Seitensprung für jeden Präsidentschaftbewerber das sichere „Aus“ bedeutet, wie der in sein Liebesnest verfolgte Demokrat Gary Hart im Wahlkampf von 1988 noch schmerzlich erfahren mußte. Präsidenten hatten vom Schrot und Korn — und der Generation — eines George Bush zu sein, der noch im Zweiten Weltkrieg gefochten hatte, der mit Barbara ein ihm treu ergebenes Weib sein eigen nannte, und der zu alt war, um an der Uni schon mal einen Joint durchgeraucht zu haben. Mit dem 46jährigen Bill Clinton versucht dagegen der erste sogenannte „baby boomer“ mit einer eloquenten und gleichberechtigten Frau ins Weiße Haus einzuziehen. Beide sind Mitglieder jener Generation, die in den 60er Jahren ihre Jungfräulichkeit und politische Unschuld verloren hatte.

Doch noch scheint Amerika nicht bereit zu sein, einen aus dieser Generation als seinen Führer zu akzeptieren. Trotz des überall gegenwärtigen Auseinanderbrechens der Familie verdrängt die traditionelle Prüderie immer noch die Realität außerehelicher Beziehungen. Trotz Georg Bushs gegenteiliger Beteuerung haben die USA nach dem Sieg im Golfkrieg ihr „Vietnamsyndrom“ eben doch noch nicht überwunden.

Für die Generation George Bushs mangelt es dem Kandidaten Bill Clinton an traditionellen Werten und Patriotismus. Die Jugend von heute dagegen weiß schon nicht mehr, worum es in Vietnam überhaupt ging. Nur die Vierzigjährigen, die wie sein demokratischer Widersacher Bob Kerrey geschlagen aus Vietnam zurückkehrten — wenn sie sich nicht um diesen unsinnigen Krieg gedrückt hatten —, verstehen Clintons ambivalenten Umgang mit den Anschuldigungen gegen ihn.

Aber Verständnis ist noch keine Bewunderung, schreibt der Kolumnist Richard Cohen über die Reaktion der Öffentlichkeit, „und es ist genau dieser Unterschied, der aus einem Kandidaten einen Präsidenten macht“.

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