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Die Eulen sind nicht, was sie scheinen

Eine letzte Würdigung: „Twin Peaks“ verabschiedet sich heute auf Tele5, 20.15Uhr  ■ Von Manfred Riepe

Mit der heutigen Doppelfolge geht sie zu Ende, die metaphysischste Seifenoper aller Zeiten. Serienspezialist Mark Frost (Hill Street Blues) und Kleinstadthorror-Choriphäe David Lynch entwarfen einen surrealistischen Trip durch die Abgründe der Banalität. Ein von Außerirdischen gesuchter, Kirschkuchen-begeisterter FBI-Agent klärt unter Zuhilfenahme von schwarzem Kaffee und fernöstlicher Weisheit eine mysteriöse Mordserie im 50.000-Seelen- Städtchen Twin Peaks unweit der kanadischen Grenze auf. Jeder in diesem Ort ist auf seine Weise meschugge. Nur die Schurken wirken normal.

Der Kölner Privatsender RTLplus, der die Serie zum Jahreswechsel lieblos im Nachmittagsprogramm verramscht hatte, brach die Ausstrahlung ab, als der (schon vorher von Sat.1 verratene) Mörder Lauras gefunden wurde. Die restlichen Folgen waren angeblich so wirr, daß man sie niemandem mehr zumuten konnte. Dabei war allen, die auch nur fünf Minuten reingeschaut hatten, klar, daß der Mord in Twin Peaks nur marginaler Anlaß für den Verzehr von glibbrig-heißem Backwerk war.

Die Serie karrikiert Who-done-it- Stories. Darüber hinaus war bekannt, daß Tele5 die restlichen Folgen ausstrahlen würde. Dennoch hieß es am Ende der RTLplus-Staffel (wo stets unsensibel in den Abspann reingequatscht wurde) dummdreist: „Das Geheimnis wird für immer ungelöst bleiben.“

Nach dem Motto: Fragen bleiben offen, weil das, was wir nicht ausstrahlen, nicht existiert.

Highlights für Liebhaber

Für Twin Peaks-Liebhaber hier noch einmal fünf gewissenhaft ausgesuchte Highlights:

Platz1: David Lynch betritt als schwerhöriger Inspektor Gordon Cole das Büro des Sheriffs, erblickt eine fernöstliche Zwergpflanze, bemerkt dazu: „Wie in den alten Kamikaze-Filmen“, beugt sich vor und schreit in das Bäumchen: „BONSAAAAAAAAI!!“

Platz2: Der Schurke Leo Johnson beseitigt den einzigen Tatzeugen, indem er mit dem Gewehr durch die Fensterscheibe des Polizeireviers einen dort im Käfig inhaftierten sprechenden Vogel erschießt. Blut tropft herab auf die besonders zur Spurensicherung gereichten Berliner Schmalzkringel (Doughnuts).

Platz3: Albert Rosenfield, schlagfertig-zynischer Polizeimediziner, wird von Sheriff Truman gefragt, ob er etwas für ihn tun könne: „Ja“, sagt Albert mit der üblichen kultivierten Geringschätzung gegenüber den Hinterwäldlern, „laufen üben, ohne mit den Knöcheln über die Erde zu schleifen.“

Truman, der Albert wegen Ähnlichem schon einmal eins in die Fresse gesemmelt hat, packt den Sprücheklopfer beim Schlips und wird fürchterlich sauer. Doch Albert ist wieder ein Stück voraus und überrascht uns mit dem köstlichsten Monolog der gesamten Serie: „Jetz hören Sie mal zu. Obwohl ich mich zu einem gewissen Zynismus bekenne, war ich immer an vorderster Front im Kampf gegen körperliche Gewalt. Ich war immer dafür, die eine Wange hinzuhalten und genauso gern die andere, weil ich fest entschlossen bin, mein Leben so zu leben wie Ghandi — und King. Meine Anliegen sind global. Ich bin ein unversöhnlicher Gegner von Gewalt, Aggression, Vergeltung und Rache. Die Basis einer solchen Lebensweise (streicht ihm das Hemd glatt) ist Liebe. Ich liebe Sie, Sheriff Truman (setzt eine dunkle Sonnenbrille auf und geht).“ „Alberts Weg ist ein schwerer und gewundener Pfad“, sagt Cooper. Schnitt.

Platz4: Unvergessen bleibt die Sequenz aus der Pilotfolge, während der der mit seiner Frau telefonierende Leland Palmer vom Tod seiner Tochter erfährt. In dem Moment, in dem die Frau vom anderen Ende der Strippe ihre Besorgnis über Lauras Fernbleiben kundtut, artikuliert Leland für seine Frau hörbar erschrocken den Namen des eben eingetretenen Sheriffs. Dessen abgenommener Hut übermittelt Leland die Todesnachricht, und Lelands ergriffenes Schweigen bestätigt die Befürchtung der Mutter in der Leitung, die zur wahnsinnig anschwellenden Schmalzmusik in Schluchzen ausbricht, das durch den im Nichts hängenden Telefonhörer zum krächzenden Tierlaut verfremdet wird. Erst im nachhinein erfahren wir, daß Leland seine Tochter selbst umgebracht hat.

Platz5: Der geschäftlich routinierte Ben Horn repariert sein ramponiertes Ego im Do-it-yourself- Verfahren, indem er glaubt, er wäre Gereral Johnson, um mit seinen Zinnsoldaten die entscheidende Schlacht der Südstaaten gegen die Nordstaaten doch noch zu gewinnen.

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